Zum 14. Mal lud die Fachstelle für Jugendseelsorge Daju am Mittwoch, 9. März, zum Diözesanforum für kirchliche Jugendarbeit ins Pfarreizentrum St.Gallen/St. Fiden ein. Das Wissen um das Lebensgefühl junger Menschen hilft Erwachsenen, sie besser zu verstehen und zu begleiten.
Die Theologin und Jugendforscherin Prof. Ilse Kögler, Rektorin der katholischen-theologischen Privatuniversität Linz, sprach über die Vielfalt von Stilen, Szenen, Verhaltensweisen und Orientierungen von Jugendlichen.
Ilse Kögler verglich das Lebensgefühl junger Menschen mit dem Ritt auf einem Surfbrett. Der erfordert totalen Körpereinsatz und bedingt wenig Tiefgang, der am schnellen Weiterkommen hindert. „Denn es wartet noch so viel Interessantes, noch viel Faszinierenderes als der Augenblick bisher bot“, verdeutlichte sie das Bild. Jugendliche wollen dem Leben ihre eigene Richtung geben. Dabei gleiten sie suchend durch die Wellen, mal hier-, mal dorthin.
Individueller Werte-Mix
„Die Jugend“ gibt es nicht, Jugendliche mixen ihre Werte individuell. Ein Lebensstil, der in den Augen vieler Erwachsener in Opposition steht zu Konventionen und Traditionen. “ Weniger als in den 70er oder 80er-Jahren verfolgen junge Leute eine politische Ideologie, Selbstverwirklichung ist eine persönliche Sache. Ein Dauerbrenner auf dem Weg ist die Sehnsucht nach Individualismus und nach Beziehung zugleich. „Ich bin ich – und ich will nicht allein sein“.
Ein kleiner Teil der Jugendlichen ist gemäss Jugendforschung familienzentriert, in Vereinen und Verbänden organisiert und institutionell überdurchschnittlich integriert. „Sie sind relativ leicht ansprechbar, beispielsweise für kirchliche Jugendorganisationen“, wandte sich Ilse Kögler an die gut 120 Jugendseelsorgerinnen und Jugendseelsorger sowie Ratsmitglieder aus den Pfarreien des Bistums. Dennoch übernehmen auch sie nicht einfach die Werte ihrer Vorfahren, sondern wählen aus – auch bei religiösen Angeboten. Unter ihnen gibt es eine Gruppe, die die Vielfalt an Möglichkeiten beängstigend und desorientierend erlebt. Sie suchen nach einem festen Platz in der Welt und endgültiger Gewissheit. Gruppierungen wie Sekten, die einfache Lösungen bieten, profitieren von dieser Unsicherheit.
Szenekulturen
Bis zu 80 Prozent der Jugendlichen aber bewegen sich heute in Szenekulturen wie Skater, Snowboarder oder HipHopper. „Es sind lose strukturierte soziale Netzwerke, in denen sich junge Menschen mit gemeinsamen Freizeitinteressen zusammenfinden um jenseits der Erwachsenenwelt „ihr eigenes Ding durchzuziehen“. Beziehungselement der Szene-Mitglieder sei der Szenecode, führte die Professorin aus, „Zeichen, die das Design der Szene bestimmen“. Ilse Kögler nannte als Beispiel die in der HipHopper-Szene getragenen, Baggypants, übergrosse Hosen, die tief im Schritt hängen. Szenen bieten Heimat, wenn auch meist für eine beschränkte Zeit. Die Frage an Szene-Jugendliche: „Tägt dich das, was Du für wichtig hälst im Leben?“ wird beantwortet mit: „Es trägt mich jetzt“.
Geglaubt wird an irgendwas
Wo haben religiöse Fragen ihren Platz? „Keine der Jugenszenen ist wirklich frei von religiöser, auch christlicher Symbolik“, betonte Ilse Kögler und nannte als Beispiel Marken-Baggypants, deren Label Jesu Dornenkrone ist. Jugendlichen surfen in unterschiedlichen Sinneswelten. Gemeinsames Kennzeichen: Die Intensität dieses Suchens ist individuell. „Geglaubt wird nicht an nichts, geglaubt wird an irgendwas“, verdeutlichte die Referentin. Die Kirchen haben kein Monopol mehr für Religiöses.
Aus religionspädagogischer Sicht sind die Alltagserfahrungen von Jugendlichen theologisch und religiös relevant. Das bedeutet, für alle, die in der kirchlichen Jugendarbeit oder in der Katechese arbeiten, sich auf die Lebensfelder junger Menschen einzulassen.
Szenen kennen
In Tischgesprächen und einer Plenumsdiskussion wurde über das Wie dieser Kontaktaufnahme gesprochen. Ist es sinnvoll – überspitzt ausgedrückt - dass sich ein Jugendseelsorger in schlabbernde Baggypants kleidet, um mit der HipHopper-Szene zu sprechen? Oder wenn eine Seelsorgerin im Skatepark Kopf und Kragen riskiert, um mit dem Jugendlichen einen Anknüpfungspunkt zu haben? „Das wäre nur peinlich“, sind sich die Diskussions-Teilnehmenden einig. „Trotzdem sollte ich die Szenen kennen, weil meine eigene vielleicht schon vor zwanzig Jahren passé war“, ergänzte die Referentin. Ilse Kögler zitierte drei von Carl Rogers geprägte Grundhaltungen im Umgang mit Jugendlichen: Echtheit, wertschätzende Anteilnahme und einfühlendes Verstehen. „Der kleinste gemeinsame Nenner ist die gegenseitige Wertschätzung“, betonte die Jugendforscherin. Das heisse manchmal auch Widersprüche und Konflikte auszuhalten. „Wenn Sie nie Widersprüche wollen und Konflikte meiden, sind sie in der Jugendarbeit falsch“, sagte die Referentin deutlich.
Über Glauben sprechen
Mit jungen Menschen darüber ins Gespräch zu kommen, was das Leben letztlich trägt, woraus wir Kraft schöpfen, bedeutet für Seelsorgende wie für Eltern oder Grosseltern, den eigenen Alltag zu reflektieren und offen über den eigenen Glauben sowie über Wertvorstellungen wie Gewaltlosigkeit oder Solidarität mit anderen Menschen zu sprechen. „Nicht mehr? - werden Sie vielleicht fragen“, sagte die Referentin und betonte: „Auf keinen Fall weniger!“