Gallustag 2015: Gen 12, 1-4a; Eph 2, 19-22; Mt 19, 27-29
16. Oktober 2015, 10 Uhr, Dom St. Gallen
Lieber Bischof Markus, liebe Festgemeinde
Machen wir uns nichts vor, wenn wir heute den hl. Gallus feiern. Auch wenn ein Benediktinermönch als Festprediger vor Euch steht: Gallus war kein harmloser und angepasster Benediktiner! Vielmehr war er ein kantiger irischer Wandermönch, ein Asket! Und als solcher wäre er den meisten von uns wohl kaum sympathisch gewesen. Es ist zwar ein schöner Brauch, wenn heute Morgen zu Ehren des Heiligen Gallus der Galluswein gesegnet wurde. Nur behaupte ich einmal, Gallus selbst hätte nicht von diesem Wein getrunken, oder dann höchstens verdünnt! Als Schüler des hl. Columban folgte Gallus dessen Regel, dass erst gegessen und getrunken werden darf, wenn man wirklich Hunger hat. Und auch dann: Gegessen wurde nur am Abend. Das Essen musste karg sein, vegetarisch, und für Trunkenheit setzte es konkrete Strafen ab. Am einfachsten war es da, Wein vermischt mit Wasser – oder gar nicht zu trinken.
Trotz dieses strengen Lebens blieb Gallus den Menschen des 6./7. Jahrhunderts positiv im Gedächtnis, zumindest dem einfachen Volk. Die Askese des hl. Gallus stand nämlich nicht nur für Strenge, sondern auch für seine Glaubwürdigkeit. Gallus muss nicht nur ein grossartiger Prediger gewesen sein! Die Leute merkten: Da predigte jemand nicht Wasser und trank dazu Wein. Als Asket hatte er eine hohe Autorität beim Volk. Allgemein wurden damals in Irland Asketen, vor allem Äbte und Äbtissinnen, vom Volk aufgesucht. Aufgrund ihrer authentischen Lebensführung vermutete man bei ihnen eine grössere Nähe zu Gott als bei geweihten Bischöfen und Priestern. Und das war dann auch der Erfolg der Mönche Columban und Gallus in unseren Gegenden: Ihre irisch geprägte Form des Christentums war im Gegensatz zum römischen Kirchenmodell deutlich weniger hierarchisch und legte grossen Wert auf die persönliche Beziehung. Es gab also schon damals verschiedene Kirchenmodelle, die aufeinanderprallten! In St. Gallen wollte das Volk anscheinend eher das des Iren Gallus, der sich dann ja auch weigerte, Bischof zu werden… – Keine Angst, ich will die Gelegenheit hier zu predigen nun nicht missbrauchen, um Äbte und Mönche vor Bischöfe zu schieben; Bischof Markus und ich arbeiten sehr gut zusammen. Ich glaube aber, dass die heutigen Lesungen sehr wohl das Anliegen des Asketen Gallus unterstreichen: eine glaubwürdige Gottesbeziehung ist der Grund und das Ziel unseres kirchlichen Lebens!
Ich höre immer wieder die Frage: Warum wird die Kirche in Fragen des Kindsmissbrauches härter angegangen als etwa Sport- oder Pfadfinderverbände oder Ärzte und Psychologen? Positiv gesagt erwarten die Menschen offenbar auch heute noch viel von der Kirche. Sie sind entsprechend mehr enttäuscht, wenn Vertreterinnen und Vertreter der Kirche nicht den moralischen Massstäben nachleben, die das Christentum hochhält. Es ist positiv ausgedrückt also auch heute noch so wie zur Zeit des hl. Gallus: die Glaubensweitergabe geht zuerst über das eigene Leben! Und für ein glaubwürdiges Leben braucht es zuerst die eigene Betroffenheit, die eigene Beziehung mit Gott. In der ersten Lesung aus dem Buch Genesis hörten wir dazu, wie Abraham einen Ruf hört – seine Berufung – und darauf Antwort gibt: Er soll ein Segen für andere sein – und Abraham macht sich dazu auf! Die Gefahr ist auch im religiösen Leben, dass wir Menschen stehenbleiben bei dem, was wir gelernt haben: Wenn ich brav bin, muss Gott lieb mit mir sein, wenn ich bete, dann muss Gott mir geben, was ich möchte. So jedenfalls hörten wir es im Evangelium: Petrus und die anderen Jünger haben alles für Jesus verlassen und wollen nun wissen, was sie dafür erhalten. Abraham machte sich auf! Auch Christus möchte seine Apostel und damit uns weiterführen: Jetzt erhaltet ihr dafür überhaupt nichts!, sagt er mit anderen Worten. Dann aber, wenn alles neu geschaffen wird, dann werdet ihr bei mir sein und aus der Beziehung mit mir heraus leben! Christus fordert von uns dieses Vertrauen, sogar alles zu verlassen, um ihm zu folgen, denn Gott sucht eine Beziehung zu uns, die mehr bedeuten möchte als ein Lebensabschnittsglaube. Das ist nicht einfach. Auch der hl. Gallus hatte seine Krisen, die in der Einsamkeit nicht ausbleiben können. Doch gerade auch darin war seine Gott-Suche für die Menschen so überzeugend, dass wir uns noch heute von Gallus rufen lassen – sonst wären wir nicht hier versammelt. Es geht in dieser Feier also nicht zuerst um den hl. Gallus – der Heilige möge mir diese Bemerkung verzeihen –, sondern um uns, um unsere Antwort auf seinen Ruf, um unsere Berufung! In der Lesung aus dem Epheserbrief erging an uns sogar der Ruf, über unsere Berufung zu staunen und uns zu freuen: „Ihr seid jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“, heisst es da. Das Johannesevangelium würde statt „Hausgenossen“ sagen: Ihr seid Gottes Freundinnen und Freunde! Diese Berufung der Gottesfreundschaft wollen wir heute neu entdecken und vertiefen, unsere persönliche Beziehung zu Gott ist gefragt!
Cari fratelli e sorelle di lingua italiana. Posso riassumere la mia omelia in poche parole. Quindi, non avete perso molto. San Gallo ci invita a vivere tutta la nostra vita sulla base del nostro rapporto con Dio. Da Lui riceviamo la benedizione e a nostra volta dobbiamo essere benedizione per gli altri.
Heute Morgen wurde zur Ehre des hl. Gallus Wein gesegnet. Wenn wir diesen heute Mittag nun auch noch trinken, muss uns das der heilige Asket auch das verzeihen, denn in dieser Segnung zeigt sich konkret unser Berufung: Segen empfangen wir von Gott, um für andere ein Segen zu sein! Wichtiger, als was wir tun, ist also, wie wir etwas tun. Wir müssen dabei unterwegs sein und aus der Beziehung mit Gott heraus leben! Wenn dann das Trinken des Weines in Freude und Dankbarkeit geschieht, dann hilft das auch unserer Gottesbeziehung, dann kann alles zum Segen für uns und für andere werden. Amen.
Gallustag_2015.pdf