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21. Tag
Eselsmilch
Die alte Frau, die zwei- bis dreimal die Woche
ihren Mann auf dem Friedhof besucht,
fragt den Friedhofsgärtner:
„Wissen Sie, was ich gerne machen würde?
In Eselsmilch ein Bad nehmen.
Das gibt wunderbar zarte Haut,
ja, schon die Königin Kleopatra
hatte in Eselsmilch gebadet.“
Noch am selben Tag legt der Friedhofgärtner
der alten Frau die Fotografie in den Milchkasten,
die sie bei ihm bestellt hat,
hört aber nichts von ihr,
sieht sie auch nicht mehr auf dem Friedhof.
Er erfährt erst Tage später
den Termin für ihre Beerdigung.
Sie sei Eselsmilch einkaufen gegangen,
und als sie ihr Badezimmer betreten habe,
tot zusammengebrochen.
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Bruder Tod
Der grösste und existentiellste Bruch eines jeden Menschenlebens ist ohne Zweifel der Tod. Niemand kann ihm entgehen. Auch deshalb sind wir Schwestern und Brüder, weil wir dieses Schicksal miteinander teilen.
Die Geschichte über die alte Frau mit der Eselsmilch macht deutlich, dass der „Bruch des Todes“ oftmals (oder meist?) dann eintritt, wenn man nicht recht darauf vorbereitet ist. Können wir überhaupt richtig darauf vorbereitet sein? Wir können jedenfalls nicht all unsere Pläne zu Ende bringen, und wir können unser Leben nicht aus eigener Kraft „ganz“ und „rund“ machen.
Aber gerade deshalb dürfen wir uns fragen, ob nicht dieser letzte endgültige Bruch unseres Lebens in Wahrheit vielmehr der letzte und endgültige Auf-Bruch ist.
Der hl. Franziskus hat am Ende seines Sonnengesangs gedichtet: „Herr, sei gelobt durch unsern Bruder Tod!“. Der Tod ist nicht Abbruch des Lebens – sondern Aufbruch.
Ich schreibe an dieser Reihe weiter:
→ Der Tod ist nicht mein Feind, sondern mein Bruder.
→ Der Tod ist nicht Abbruch des Lebens, sondern Aufbruch.
→ Der Tod ist nicht…
→ Der Tod ist nicht…