Guido, du bist Domdekan – kannst du deine Rolle kurz erklären?
Der Domdekan leitet das Domkapitel und vertritt es auch nach aussen. Wir treffen uns zu zwei ordentlichen Sitzung im Frühjahr und auch aus Anlass des Gedenkens an alle früheren Äbte, Mönche, Bischöfe und MitarbeiterInnen in der Seelsorge.
Wie setzt sich das Domkapitel zusammen und was sind seine Aufgaben?
Es besteht aus 5 sogenannten Residenzial- und 8 Ruralkanonikern. Residierende Kanoniker bekleideten früher alle wichtigen Aufgaben in der Bistumsleitung: Generalvikar mit Personalbereich, Domkustos und Offizial, Bischofsvikar und Pastoralbereich, Dompfarrer, Regens oder Domkatechet.
Die 8 Ruralkanoniker beziehen sich auf die 8 Dekanate, die es zur Zeit der Gründung des Bistums St. Gallen gab. Die Frage mit Appenzell war zur Zeit der Bistumsgründung noch nicht geregelt. Seit einigen Jahren sind auch Priester, die im Dekanat Appenzell tätig sind, im Domkapitel.
Wo siehst du die Vorteile des dualen Systems und welche Rolle spielt dieses bei der Wahl ins Domkapitel?
An unserem dualen System (Bistum und Konfessionsteil, Kirchgemeinden und Pfarreien) schätze ich es sehr, dass sich so viele Menschen im weitesten Sinne für die Kirche und ihre verschiedenen Aufgaben engagieren. Ich erinnere daran, dass kein Domherr vom Bischof oder vom Domkapitel allein ernannt werden kann. Bei den Ruralkanonikern gehen die Vorschläge immer über den Administrationsrat – dieser kann Kandidaten streichen. Bei den Residierenden werden je zwei vom Bischof und zwei vom Administrationsrat gewählt. Der Domdekan wird aus einem Dreiervorschlag des Bischofs durch den Administrationsrat gewählt. Die Kräfte sind so ausgewogen verteilt.
Bist du als Domdekan Kronfavorit nächster Bischof zu werden?
‘Dornenkronfavoriten’ sind – wenn man auf die letzten 11 Bischöfe von St. Gallen schaut – alle Kanoniker. Der erste Bischof war nicht im Domkapitel, weil das Gremium erst mit der Gründung des Bistums 1847 neu organisiert wurde und der erste Bischof nicht gewählt wurde. Otmar Mäder gehörte ebenfalls nicht dem Domkapitel an.
Wie funktioniert ein Bischofswechsel in der Regel und was ist in St.Gallen so besonders?
Diözesen werden vakant, wenn ein Diözesanbischof stirbt oder wenn der Papst ein Rücktrittsgesuch annimmt. Konkret: Bischof Markus wird dem Papst mit seinem 75. Geburtstag einen Brief schreiben und seinen Rücktritt anbieten. Dann heisst es warten, bis Papst Franziskus diesen Rücktritt auf ein bestimmtes Datum hin annimmt. Dann beginnt die eigentliche Vakanz. Die Besonderheit in St.Gallen ist, dass und wie das Domkapitel den Bischof wählen darf.
Wieso gibt es in St.Gallen eine Bischofswahl?
Nach dem Konkordat vom 7. November 1845 und der Reorganisationsbulle Instabilis rerum humanarum vom 8. April 1847 erfolgt die Neubesetzung des St.Galler Bischofsstuhls durch freie Wahl des Domkapitels innert drei Monaten nach eingetretener Vakanz. Diese während Jahrhunderten bewährte Form der Bischofswahl vermochten die Bistümer Basel und St.Gallen als einzige Diözesen der westlichen Kirche beizubehalten.
Wieso muss das so genau nach Konkordat ablaufen?
Die Bischofswahl ist mehr als ein Gentlemen-Agreement. Ein Konkordat ist ein Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Land. Es hat völkerrechtlichen Status.
Welche Personen sind überhaupt als Bischof wählbar?
Nach Kirchenrecht muss ein Priester mindestens 35 Jahre alt sein und seit 5 Jahren Priester sein. Was das Kirchenrecht vorschreibt, ist auch Kriterium in den Statuten des Kapitels. Hinzu kommt, dass ein künftiger Bischof in Verwaltung oder Seelsorge innerhalb des Bistums erfahren sein und der Diözesangeistlichkeit angehören soll. Diese Voraussetzungen erfüllen Stand heute um die rund 30 Priester.
Wie wird das Domkapitel bei der Wahl wieder die katholische Bevölkerung einbeziehen?
Bei den letzten beiden Bischofswechseln gab es begleitend zur Listenerstellung eine sogenannte ‘Konsultation’: Wir fragten nach Eigenschaften, die ein künftiger Bischof haben sollte und es durften auch Namen genannt werden. Beteiligen durften sich neben Räten und Gremien die ganze Bevölkerung. Niemand musste sich ausweisen, katholisch zu sein. Eine Konsultation wird es sicher wieder geben. In einer Gruppe mit Vertretern aus dem Domkapitel und von Reformen.jetzt diskutieren wir geeignete Massnahmen diesbezüglich.
Darf ein gewählter Bischof seine Wahl ablehnen?
Nach Statuten kann ein Gewählter innerhalb von 7 Tagen Annahme oder Nichtannahme der Wahl erklären. Diese Annahme der Wahl ist Voraussetzung für die Ernennung durch den Papst.
Welche Veränderungen an der Verantwortung und der Rolle des Bischofs würden aus deiner Sicht Sinn machen?
Viele Veränderungen laufend. Ich wünschte mir, man könnte die zeitliche Überbeanspruchung von Verantwortungsträgern anschauen.
Wird die Idee, die Verantwortung und die Arbeitsbelastung auf mehrere Schultern zu verteilen, diskutiert?
Die Verantwortung ist jetzt schon auf verschiedene Schultern verteilt. Stellen müssen neu besetzt werden, was uns herausfordert. Es braucht überall gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nicht nur in der Bistumsleitung und im Ordinariat.
Welche drei Eigenschaften muss ein zukünftiger Bischof aus deiner Sicht zwingend mitbringen?
Bischöfe müssen geduldig zuhören können. Sie können nicht alles alleine und dürfen auch delegieren. Wenn sie neben Gottvertrauen noch eine grosse Portion Gelassenheit und Humor mitbringen, wird das ihr herausforderndes Amt erträglich machen.
Die Bischofswahl ist für dich eine anspruchsvolle Aufgabe – auf welchen Moment freust du dich?
Ich freue mich, auf Gespräche intern und extern und das Ringen um die Frage, was römisch-katholische Kirche sein für uns künftig bedeutet. Wenn dieses Suchen auch ein wirklich geistlicher Prozess wird, freu ich mich.