Die Kolpingsfamilie wurde als sogenannter Gesellenverein gegründet. Seit 50 Jahren dürfen Frauen dabei sein. Die Männer haben sich damals dagegen gewehrt! Aber was wäre Kolping heute ohne die Frauen? Sie bewirken so viel. In Bütschwil war ich in den 1980ern die erste Präsidentin von Kolping, noch als ledige Frau.
Von einer Schulfreundin erfuhr ich von Kolping und übernahm sehr schnell Verantwortung – zuerst als Aktuarin, später als Präsidentin. «Das kannst du schon!» sagte mein Vorgänger zu mir. Damals war ich eine von den jüngeren Mitgliedern. Die anderen fanden es toll!
«Familie» sagen wir deshalb zu Kolping, weil der Verein generationenübergreifend ist. Als ich dazu kam, sagte ich zu 80, 90-jährigen «Du». Das war damals aussergewöhnlich!
Bei den Sitzungen der Region Ostschweiz lernte ich später meinen Mann Bruno kennen. Er war Präsident der Kolpingsfamilie Rorschach… Heute haben wir drei Söhne und drei Grosskinder und leben in meinem Elternhaus. Bei Kolping sind wir immer noch. In der Ostschweiz gibt es 14 Kolping-Familien.
«Den Glauben und das Gesellige pflegen»
Adolph Kolping wollte den Glauben, aber auch das Gesellige beim Menschen pflegen. In der Zeit der Industrialisierung setzte er sich für gerechtere Arbeitsbedingungen ein, denn die Handwerker wurden in den Fabriken ausgenutzt. Abends hatten sie keinen Ort, wo sie hingehen konnten, das war der Beginn ihres Untergangs. So schuf er eine Soziallehre . Es fasziniert mich, dass der Grundgedanke, «Heimat bieten», noch heute gültig ist. Weiter legte er sehr grossen Wert auf die Bildung. Damit wollte er die Tüchtigkeit im Beruf, in Gesellschaft und Staat fördern.
Kolping ist weltumspannend in über 60 Ländern beheimatet. Ich durfte schon an internationalen Treffen in Innsbruck, Köln und Strassburg, der Slowakei oder Ungarn teilnehmen und fand es faszinierend, dass wir im gleichen Geist die Ideale von Kolping vertreten – egal, ob beim gemeinsamen Essen, Gesprächen, Vorträgen oder beim Gottesdienst. Schade, dass ich nicht alle Sprachen kann! Zum Glück gibt es auch Simultanübersetzer. Die Solidarität untereinander ist riesig, die Länder unterstützen sich gegenseitig.
2020 wurde die Kolpingsfamilie Bütschwil 100 Jahre alt. Feiern konnten wir wegen Covid nur im kleinen Rahmen. Doch um unsere Fahne zu restaurieren, fuhren wir extra nach Karlsruhe in Deutschland. Dort wird die Handstickerei noch aufwändig gepflegt und ausgeführt.
In der Kirche bekomme ich Kraft, Ruhe, und kann auftanken. Die Stille brauche ich. Ich bin manchmal auch schon an den Anschlag gekommen und musste mich etwas bremsen. Ich bin halt praktisch veranlagt. An der ehrenamtlichen Arbeit gefällt mir, wenn ich mich für etwas einsetze und dann alle zufrieden und glücklich nach Hause gehen.
«Ich gebe die Hoffnung nicht auf»
In Bütschwil organisiere ich die Nikolaus-Gruppe – ein tolles Team – und das «Adventshüsli». Da finde ich viele, die mit Begeisterung helfen. Aber im Verein mitzumachen, ist etwas anderes. Wie überall, ist es auch bei Kolping nicht einfach neue Mitglieder und Menschen für den Vorstand zu finden.
Unser Ziel dieses Jahr ist es, Zeit zu schenken. Mit diesem Thema können wir auf Leute zugehen: «Ich will dir Zeit schenken!». Ob das Mitglieder bringt? Da müssen wir fest dran schaffen. Vielleicht brauchen wir neue Ideen.
Mein Mann sagt: «In zehn Jahren gibt es Kolping vielleicht nicht mehr». In der Region haben wir Kolpingsfamilien mit nur mehr älteren Personen. Die Corona-Pandemie hat vieles in Stocken gebracht. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass einmal eine Gruppe kommt und sagt: «Komm, wir machen etwas!» Dazu brauchen wir Initiative, Zeit und Geduld.
«Nicht nur beten für die Veränderung»
Was ich an der Kirche ändern würde? Sie soll offener sein für alle Menschen und niemanden ausschliessen, der oder die nicht ins Muster passt. Frauen sollten mehr Verantwortung übernehmen können. Kirche muss offen zu den Fehlern, die sie selbst gemacht hat, stehen und sie nicht vertuschen. Und dass ein Priester, der heiraten möchte, nicht mehr Priester sein darf, begreife ich nicht. Damit habe ich meine Mühe.
Man muss auch ein bisschen für die Veränderung beten, aber es müssen auch Taten folgen. Das gefällt mir an Kolping so: Der Glaube ist wichtig. Aber die Tat gehört dazu.