Das Domkapitel berät den amtierenden Bischof und es wählt jeweils auch seinen Nachfolger. Doch wer sind die 13 Persönlichkeiten? Heute lernen wir Roman Giger, Pfarrer in St.Gallen West-Gaiserwald, besser kennen.
Roman, was waren deine wichtigsten Stationen im Leben?
Geboren und aufgewachsen bin ich im St. Galler Oberland in der damals ausserordentlich lebendigen Pfarrei Mels-Heiligkreuz. Meine Eltern und meine Grossmutter schenkten mir den Glauben. Die weiteren Stationen sind:
1985-88 Kaufmännische Berufslehre
1988-91 Berufstätigkeit in der öffentlichen Verwaltung und Zweitweg-Matura
1991-92 Sozialeinsatz in Chile
1993-2001 Theologiestudium in Freiburg i. Ue. (Schweiz) und in Rom
1999 Priesterweihe
2004 Promotion zum Dr. theol.
2004-09 Kaplan in Wil (SG)
2009-19 Pfarrer in Wil (SG)
seit 2019 Pfarrer in St. Gallen West – Gaiserwald
Beschreibe dich in ein paar Sätzen.
Ich bin eine ausgesprochen fröhliche Natur. Ich liebe die Menschen und spüre bei den meisten eine Gegenliebe. Mensch und Gott stehen für mich im Zentrum. Ich bin diesbezüglich sehr einseitig. Mir spielt’s keine Rolle, was für Wetter es ist, was für Berge, Pflanzen, Tiere, Seen und Flüsse vor mir sind. Mensch und Gott sind für mich alles. Aber wenn ich mit einem Meteorologen zu tun habe, interessiert mich das Wetter, ebenso im Kontakt mit einem Geologen die Berge, mit einem Biologen die Pflanzen, mit einem Bauern die Tiere etc. Es geht immer über die Menschen. Und noch etwas: Ich liebe die Kirche. Natürlich bin ich nicht blind und weiss um ihre die Makel, Fehler und Wunden. Trotzdem liebe ich sie. Die Welt wäre ärmer ohne sie.
Was braucht die Kirche aus deiner Sicht am dringendsten – heute und auch in die Zukunft gedacht?
Die Kirche muss sich nicht in allem an die Zeit anpassen, aber sie muss trotzdem mit der Zeit gehen. Die Gesellschaft hat sich verändert. Die Kirche darf nicht so tun, als ob sie das nichts angehe. Die Stellung der Frau, das Verhältnis zur Politik, die Stellung von Homosexuellen, der Umgang mit Umwegen und Scheitern in Lebensentwürfen, geschichtlich gewachsene, aber heute längst überholte Strukturen schreien geradezu nach Veränderungen! Und die Kirche darf ihr Kerngeschäft nicht vergessen: das heisst, sie muss das tun, was andere nicht tun: die frohe Botschaft verkünden, Gottesdienst feiern und den Menschen, besonders den armen und leidenden, beistehen.
Was darf in der Kirche nie verloren gehen?
Glaube, Hoffnung und Liebe.
Du musst das Vertrauen der Menschen in die Kirche wieder aufbauen/stärken: Welche Massnahmen triffst du?
Transparent kommunizieren – nach innen und aussen. Veränderungen umsetzen, die längst notwendig sind (siehe oben).
Fünf Fähigkeiten, die ein Bischof in der heutigen Zeit mitbringen muss?
Gut zuhören können, am Puls der Zeit sein, führen, mutig und weise sein.
Welche Anliegen würdest du mit Papst Franziskus bei einem Abendessen besprechen?
Ich würde mit Papst Franziskus über den Zentralismus in der Kirche sprechen und ihn fragen, warum denn die ganze Weltkirche mit ihren rund 1,4 Milliarden Katholiken gleich ticken muss. Warum dürfen die einzelnen Länder bzw. Bischofskonferenzen in strukturellen und kulturbedingten Fragen nicht eigene Wege gehen?
Und ich würde ihn fragen, ob eine Altersbeschränkung, wie wir sie bei den Bischöfen kennen, die mit 75 ihren Rücktritt einreichen müssen, beim Papstamt nicht auch angebracht wäre.
Ich würde mit ihm über das Thema „Macht“ reden wollen und ihn fragen, ob und wie die „Kaderleute“ in der Kirche – insbesondere der Papst, die Bischöfe und die Priester – Macht abgeben könnten. Vollmacht ja, Machtfülle nein.
Welche Stelle in der Bibel berührt dich?
Bei meiner Primiz 1999 wählte ich als Primizspruch Johannes 15,5: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt Reiche Frucht.“ Das ist meine tiefste Sehnsucht: Ich möchte Frucht bringen.
Was tust du, um einmal Pause von der Kirche zu machen?
Ich gehe zweimal in der Woche schwimmen und mindestens einmal in der Woche in die Sauna. Das Wasser ist mein Element. Daneben bedeuten mir Musik und Kunst viel. Ich gehe regelmässig ins Theater und in die Oper.
Was ist das „Verrückteste“, das du je getan hast?
Oh, mir passieren regelmässig „verrückte Sachen“. Vor Jahren besuchte ich einmal in Quarten eine pädagogische Tagung mit vielen Lehrerinnen und Lehrern. Die Organisatoren wussten, dass ich sehr musikalisch bin und baten mich, meine Blockflöte mitzunehmen, um mit einem Pianisten zusammen zwischen den Arbeitsblöcken zu musizieren. Gesagt getan. Das Problem war nur, dass der Pianist ein Virtuose in Improvisation war und nie nach Noten spielte, ich jedoch genau das Gegenteil, das heisst auf Noten angewiesen war. Offensichtlich war dem Pianisten die Umstellung auf Noten nicht möglich und ich liess mich einfach auf das Abenteuer seiner Improvisation ein. Ich blies auf meiner Flöte kreuz und quer, rauf und runter, laut und leise, legato und staccato, was grad kam. Wir ernteten nach jeder Einlage grossen Applaus und mussten am Schluss noch eine Zugabe spielen. Dass ich vorher noch nie im Leben auf der Flöte improvisierte, wagte ich niemandem zu sagen. Und ich tat es seither auch nie mehr.
Welcher Mensch hat dich sehr beeinflusst?
Neben meinen Eltern und Freunden fallen mir drei grosse Lehrmeister ein: mein Heimatpfarrer, mein Doktorvater und mein erster Chef.
Welches ist für dich der schönste Ort?
Das Tessin ist meine zweite Heimat. Pura im Malcantone mit Blick auf Lugano und den Luganersee liebe ich über alles.
Was kann man nicht mit Worten ausdrücken?
Tiefe Gefühle von Liebe. Deshalb sprechen Verliebte nicht viel.