„Die Mehrheit aller MigrantInnen gehört zu einer christlichen Kirche. Migration in die Schweiz ist ein hauptsächlich christlich geprägtes Phänomen. Im Kanton St.Gallen leben 24% AusländerInnen, also etwa 120 000 Menschen.“ Dies sagte Arnd Bünker, Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts SPI, in einem Vortrag in St.Gallen und stellte die Frage: „Wird es der Kirche gelingen, diese Situation als Chance zu nutzen?“
„Es geht um die Anerkennung der Tatsache, dass die Gesellschaft bereits nachhaltig durch Migration geprägt wurde und wird“, führte Arnd Bünker aus. Die Rede von einer „postmigrantischen“ Gesellschaft bedeute, dass viele Menschen in der Schweiz mit „Mehrfach-Identitäten“ leben. „Sie pflegen gemischte oder wechselnde Zugehörigkeiten, zum Beispiel in den Bereichen Kultur, Religion, Sprache und so weiter. Diese Vielschichtigkeit ist ein Merkmal der Schweizer Bevölkerung, das sich nicht einfach wegwischen lässt. In einer postmigrantischen Gesellschaft gibt es keinen Zwang zur Entscheidung für eine Identität, man mischt, nutzt und wählt nach Belieben“, so Arnd Bünker.
Auch die Kirche ist „postmigrantisch“
In der Kirche heisse „postmigrantisch“, dass viele Kirchenmitglieder, Mitarbeitende und Seelsorgende migrantisch geprägt seien; dass spirituelle, sprachliche, ethnische oder kulturelle „Mehrfach-Beheimatungen“ und gemischte Zugehörigkeiten auch in der Kirche bestünden; dass sogenannte „anderssprachige Missionen“ nicht mehr nur Orte vorübergehender Übergangspastoral, sondern dauerhafter Ausdruck einer kulturell und spirituell vielfältig gewordenen katholischen Kirche in der Schweiz seien. „Einigen Gläubigen ist es zum Beispiel wichtig, sowohl in einer Mission als auch in einer Pfarrei zuhause zu sein. ‚Anderssprachige Missionen‘ werden also bereits als ‚dauerhafte‘ Angebote, als neue Farben in unserer bunter gewordenen Kirche gesehen; Farben, die man nicht mehr missen möchte“, betonte der Referent.
Realitäten katholischer Migrationspastoral
Das SPI, das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut in St.Gallen, hat in den letzten Jahren intensiv im Bereich Migrationspastoral geforscht: über die Funktionen und Leistungen „anderssprachiger Missionen“, über Spielräume der Zusammenarbeit von „Missionen“ und „Pfarreien“, über die Rolle von christlicher Religion in Biografien von Migrantinnen und Migranten. Bereits sind im SPI dazu zwei Bücher erschienen: „Kirchen in Bewegung“ und „Katholische Migrantengemeinden“. Zwei weitere Publikationen mit neuen Ergebnissen sind für dieses Jahr geplant.
Positive Auswirkungen der „Missionen“ seien die psycho-soziale Unterstützung der MigrantInnen, die Hilfe zur Integration in die Schweiz, die Lebendigkeit kirchlichen Lebens. Es gebe aber auch Konflikte zwischen in- und ausländischen Kirchenkulturen sowie pastorale Zielkonflikte bei den „Missionen“: „Sollen sie nur eine befristete Überganspastoral sichern oder eine dauerhafte Sprach- und Kulturvielfalt in der Kirche ermöglichen“, so fasst Arnd Bünker eine wichtige Frage der Pastoralplanung zusammen. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass aktuell nur 22% der katholischen Sprachmissionare die Schweizer Kirche als Vorbild sähen. „Deshalb sollten wir aufhören, darüber nachzudenken, ob man anderssprachige Missionen einfach in Pfarreien hinein ‚auflösen‘ könnte. Dieser Denkansatz ist nicht realistisch. Er ist pastoral nicht durchsetzbar“, so das Fazit von Arnd Bünker. „Das heisst aber nicht, dass man beim Zueinander von anderssprachiger und einheimischer Pastoral auf Verbesserungen verzichten dürfte. Verbesserungen sind dringend notwendig – und das aus Gründen der Pastoral, des Personals und der Finanzen.“
Arnd Bünker plädierte dafür, die postmigrantische Realität der Kirche als Herausforderung anzunehmen, aber auch die Chancen für die Kirche zu entdecken. „Dazu ist eine Pastoral- und Ressourcenplanung notwendig, zu der das SPI weitere Grundlagen schaffen wird und für Beratungs- und Planungsanfragen gerne zur Verfügung steht.“ (eg) (Bild zur Verfügung gestellt)