Im Verlauf von 2025 setzt die römisch-katholische Kirche neue Kooperationen, Standards und Abläufe in Kraft, um sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung zu verhindern und Opfer überall in der Schweiz professionell zu unterstützen: Seit Anfang Jahr bieten die kirchlichen Meldestellen keine eigene Opferberatung mehr an, sondern verweisen konsequent an die kantonal anerkannten Opferberatungsstellen, wo Betroffene unabhängige Unterstützung und Beratung erhalten. Ein Leitfaden zur Führung von Personaldossiers und ein wissenschaftlich abgestütztes Assessment für angehende Seelsorgende schaffen im Personalmanagement Voraussetzungen, um Risiken zu minimieren. Sie werden im Lauf des Jahres eingeführt. Die nationale Dienststelle Missbrauch im kirchlichen Kontext verfügt seit Anfang Januar über mehr Ressourcen, um die Konkretisierung und Umsetzung des ganzen Massnahmenpakets voranzubringen.
Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und die Konferenz der Vereinigungen der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens (KOVOS) erarbeiten auf nationaler Ebene eine Reihe von Massnahmen, mit denen die Aufarbeitung des Missbrauchs im kirchlichen Kontext fortgesetzt und institutionelle Mängel angegangen werden.
Schweizweit einheitliche und kirchenunabhängige Opferberatung in Kraft
Seit Anfang Januar 2025 ist die Opferberatung schweizweit von der Kirche unabhängig. Damit ist ein erster Meilenstein erreicht: In der ganzen Schweiz können sich Betroffene an die unabhängigen professionellen Beraterinnen und Berater der von den Kantonen anerkannten Opferberatungsstellen wenden. Die Beratungsstellen und ihre Angebote sind über www.opferhilfe-schweiz.ch erreichbar. Bis anhin hatten auch kirchliche Stellen diese Aufgabe übernommen, mit je nach Bistum unterschiedlichen Vorgehensweisen. Die Zusammenarbeit wurde zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) geregelt. Eine Fallpauschale von 1'500 Franken entschädigt die Stellen für Zusatzaufwand, der aufgrund der Komplexität der kirchlichen Strukturen und der Abklärungen mit verschiedenen kirchlichen Stellen entsteht.
Die Betroffenenorganisationen, IG-M!kU,SAPEC und GAVA tragen die neuen Regelungen mit und auch die Anlaufstelle für verjährte Fälle in der Westschweiz CECAR nimmt sie zur Kenntnis. Sie werden eine zentrale Rolle bei der Bekanntmachung der neuen Zuständigkeiten und Abläufe spielen, da der Erstkontakt mit Betroffenen vielfach über sie erfolgt.
Nationale kirchliche Informationsstelle ist bereit
Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit den kantonal anerkannten Opferberatungsstellen war die Schaffung einer Informationsstelle seitens der Kirche, welche die unabhängigen Beraterinnen und Berater in sämtlichen kirchenspezifischen Fragen unterstützt. Sie nimmt die Anfragen der Opferberatungsstellen entgegen und beantwortet diese mit Unterstützung eines Pools von Fachpersonen, die mit kirchenrechtlichen Fragen sowie mit den Strukturen und Institutionen der katholischen Kirche in der Schweiz vertraut sind. Angelica Venzin ist als Ansprechperson der deutschen Schweiz tätig, für die lateinische Schweiz ist es Béatrice Vaucher. Der Aufbau des Pools an Fachpersonen ist in Gang.
Das Zusammenwirken der Opferberatungsstellen mit der kirchlichen Informationsstelle wird nach einer zweijährigen Pilotphase evaluiert.
Grundlagen für die Professionalisierung des Personalmanagements sind erarbeitet
In den letzten Monaten wurde mit dem für HR-Fragen spezialisierten Unternehmen von Rundstedt ein Leitfaden erarbeitet, der Standards zur Führung und Archivierung von Personaldossiers sowie der Weitergabe von Personalinformationen formuliert. Um die Praxistauglichkeit auf allen Ebenen sicherzustellen, werden nun Rückmeldungen bei Personalverantwortlichen eingeholt. Schulungsangebote zur Umsetzung des Leitfadens starten voraussichtlich Mitte 2025.
In Zusammenarbeit mit Prof. Jérôme Endrass, Leiter Forschung & Entwicklung beim Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich, und seinem Team wurde ein psychologisches Assessment (Abklärungsverfahren) ausgearbeitet. Dieses dient als Basis für ein sorgfältiges und schweizweit einheitliches Auswahlverfahren. Priesteramtskandidaten sowie angehende Seelsorger und Seelsorgerinnen werden dieses Assessment künftig standardmässig durchlaufen.
Die katholische Kirche hat dafür verbindliche Standards festgelegt. Grundlage bilden Basiskompetenzen, die für den Erwerb seelsorgerischer Fertigkeiten und eine erfolgreiche Berufsausübung erforderlich sind. Ziel des Assessments ist die Überprüfung dieser Kompetenzen sowie die Identifikation möglicher Risiken für Dritte. Die Bischofskonferenz hat der flächendeckenden Einführung und Umsetzung der Assessments ab Mitte 2025 zugestimmt. Dazu sind nun Fragen zu Organisation und Kommunikation zu klären.
Weitere Massnahmen sind in Arbeit – mehr dazu im Faktenblatt
Im Herbst 2024 haben die zuständigen vatikanischen Stellen in Rom der Schaffung des nationalen kirchlichen Straf- und Disziplinargerichts zugestimmt. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bischof Joseph Maria Bonnemain erarbeitet nun die rechtlichen Grundlagen. In dieser Arbeitsgruppe wirken neben kircheninternen Kirchenrechtsexperten auch Prof. Dr. Brigitte Tag (Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht an der Universität Zürich) und Pierre Cornu (Richter am Obergericht des Kantons Neuenburg) mit. Bereits in Gang ist auch die Suche nach dem künftigen Gerichtspersonal. Ziel des Gerichts ist, die Gefahr der Befangenheit zu reduzieren und die korrekte und schweizweit einheitliche Anwendung der kircheneigenen Richtlinien und Strafnormen im Umgang mit Missbrauchsfällen zu gewährleisten. Analog zum staatlichen Strafverfahren sollen im kirchlichen Strafverfahren die Schutz-, Informations- und Verfahrensrechte der Betroffenen definiert und garantiert werden. Dabei haben die zivilen schweizerischen Strafgesetze und das Einschalten der Strafverfolgungsbehörden weiterhin in jedem Fall Vorrang.
Seit Januar 2024 läuft die dreijährige historische Fortsetzungsstudie, welche die Kirche bei der Universität Zürich in Auftrag gegeben hat und mit 1,5 Mio. Franken finanziert. Die Resultate werden 2027 präsentiert.
Bereits 2023 haben sich die Bistümer und Landeskirchen sowie zahlreiche Ordensgemeinschaften verpflichtet, künftig keine Akten mehr zu vernichten, die im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen stehen.
Nationale Dienststelle neu mit Dreierteam für alle drei Sprachregionen
Im Juli 2024 hat die nationale Dienststelle Missbrauch im kirchlichen Kontext unter der Leitung von Stefan Loppacher ihre Arbeit aufgenommen. Seit Anfang Januar 2025 verstärken Annegret Schär und Mari Carmen Avila das Team. Mit 140 Stellenprozenten wird die Dienststelle im Auftrag der drei kirchlichen Institutionen die gemeinsam beschlossenen Massnahmen zur Verhinderung von Missbrauch und dessen Vertuschung bearbeiten und koordinieren.
Statements der drei kirchlichen Auftraggeberinnen
«Die Betroffenen von Missbrauch im kirchlichen Umfeld sowie die gesamte Gesellschaft sollen sich vergewissern können, dass die katholische Kirche in der Schweiz Machtmissbrauch bekämpft und griffige Präventionsmassnahmen umgesetzt hat. Den Worten und Versprechungen sind Taten gefolgt. Der Prozess der wirkungsvollen Verhinderung von Missbrauch jeglicher Art wird dennoch niemals beendet sein. Die Kirche, wie die gesamte Gesellschaft, muss sich dem Thema auf allen Ebenen und in jeder Form ihrer Auswüchse fortlaufend annehmen, um gemeinsam die nötigen präventiven Massnahmen auszuarbeiten und umzusetzen.» Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur und Themenverantwortlicher der SBK
«Gewisse erste Meilensteine wurden 2024 erreicht; die Intensität der Weiterarbeit an der Umsetzung dieser Massnahmen wird nicht abnehmen und uns noch lange beschäftigen. Wir wollen das gesamtschweizerische Umfeld mit unseren verschiedenen Sprachen, Kulturen, Erfahrungen und rechtlichen Strukturen nutzen, um, mit Einbezug der Betroffenenorganisationen, breitabgestützte Lösungen für unsere Kirche zu finden.» Roland Loos, Präsident der RKZ
«Die Ordensgemeinschaften – insbesondere die Männerorden, in deren Reihen sich erwiesenermassen bereits verstorbene oder noch lebende Täter finden – tragen nach wie vor eine besondere Verantwortung gegenüber den Opfern von sexuellem und anderen Formen von Missbrauch. Obwohl sich viele Ordensgemeinschaften in einer personell prekären Lage befinden, sind sie sich der Pflicht bewusst, die beschlossenen Massnahmen mitzutragen und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten und in ihren Zuständigkeitsbereichen umzusetzen. Trotz ihres fragilen Zustandes wollen sie auf ihre ordensspezifische Weise den für die gesamte Kirche überfälligen Kulturwandel aktiv mitgestalten und voranbringen.» Pater Peter von Sury, Mariastein, Themenverantwortlicher der KOVOS
Im historischen Folgeprojekt 2024 - 2026 beziehen die Forschenden der Universität Zürich die Perspektive von Betroffenen und anderen Zeitzeuginnen und -zeugen verstärkt ein. Wer bereit ist, mit dem Forschungsteam über sexuellen Missbrauch und den Umgang der Kirche damit zu sprechen, kann über folgende Adressen Kontakt mit den Forschenden aufnehmen: forschung-missbrauch[at]hist.uzh.ch, recherche-abus[at]hist.uzh.ch oder ricerca-abusi[at]hist.uzh.ch
Weitere Informationen:
Projektwebseite der Auftraggeberinnen: www.missbrauch-kath-info.ch
Pilotprojekt zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts, Universität Zürich: Schlussbericht des Forschungsteams
Auskünfte
SBK: Bischof Joseph Maria Bonnemain (Themenverantwortlicher)
RKZ: Roland Loos (Präsident)
KOVOS: Pater Peter von Sury (Themenverantwortlicher)
Interessierte wenden sich an medien[at]missbrauch-kath-info.ch oder Tel. 079 323 19 21.
Die Auftraggeberinnen
Schweizer Bischofskonferenz (SBK)
Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) ist das Koordinationsorgan der römisch-katholischen Bistümer der Schweiz und umfasst derzeit 9 Mitglieder: die Bischöfe der sechs Bistümer der Schweiz, deren Weihbischöfe sowie die beiden Äbte der Territorialabteien St-Maurice und Einsiedeln. www.bischoefe.ch
Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)
Die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) ist der Zusammenschluss der kantonalkirchlichen Organisationen. Sie besteht seit 1971 und ist als Verein organisiert. Sie trägt massgeblich dazu bei, dass die katholische Kirche ihre Aufgaben auf gesamtschweizerischer Ebene wahrnehmen kann. Zudem tritt sie für demokratisches, solidarisches und unternehmerisches Handeln ein, das den Bedürfnissen des kirchlichen Lebens vor Ort Rechnung trägt.
www.rkz.ch
Konferenz der Vereinigungen der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS)
Die KOVOS (Konferenz der Vereinigungen der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz) will der Pluralität des gottgeweihten Lebens in der Schweiz in der Öffentlichkeit und innerhalb der Kirche ein Gesicht und eine Stimme geben. Dazu nutzt sie die sozialen Kommunikationsmittel und gezielte Veranstaltungen. Die KOVOS ist ein zivilrechtlicher Verein mit Sitz in Fribourg. www.kovos.ch