Michael Ehrhardt besucht mehrmals wöchentlich Patientinnen und Patienten in der psychiatrischen Klinik St.Pirminsberg. Die Klinikseelsorge ist gefragt, nicht nur in Zeiten von Corona, aber jetzt besonders. Der katholische Seelsorger bietet sich für Gespräche und spirituelle Begleitung in einer schwierigen Lebenssituation an. Besonders freut ihn, wenn Menschen, die durch ein akutes psychisches Leiden gänzlich aus dem Alltag „herausgefallen“ sind, wieder ins Leben zurückfinden. Auf diesem Weg möchte er als Seelsorger seinen Beitrag leisten.
Die katholische und die evangelisch-reformierte Kirche finanzieren gemeinsam mit dem Kanton St.Gallen die Seelsorge an den psychiatrischen Kliniken Wil (je 100 Stellenprozente beider Kirchen) und Pfäfers. Michael Ehrhardt (40 Stellenprozente) teilt sich in Pfäfers die Aufgabe mit seinem reformierten Kollegen, Pfarrer Reinhold Meier (60 Stellenprozente). Beide betreuen jeweils mehrere Behandlungsstationen mit verschiedener Ausrichtung. Sie teilen die Präsenztage in der Klinik auf und nutzen dasselbe Büro.
In die Morgenrunde
Ein Arbeitstag von Michael Ehrhardt in Pfäfers beginnt meist mit der vom Klinikpersonal moderierten Morgenrunde, an der er auf drei Stationen regelmässig teilnimmt. Der Seelsorger bringt eine Geschichte, einen Gedanken in den Tag mit, es ist eine der Möglichkeiten, dass Patientinnen und Patienten und der Seelsorger sich kennenlernen. Danach ist er präsent auf den Stationen, spricht die Menschen aktiv an. Leider haben nicht wenige schlechte Erfahrungen gemacht mit der Kirche, auch dieser Herausforderung stellt sich Michael Ehrhardt. Er erzählt von einer Frau, die wegen ihm regelmässig die Morgenrunde verliess. Nach fünf Wochen suchte sie unerwartet das Gespräch und feierte fortan die regelmässigen Gottesdienste mit. Die Patientin war in einem Wahn gefangen und von schlechten Erinnerungen an die Kirche geprägt. „Es ist schön, wenn ich ein sehr negatives Bild etwas korrigieren kann“, sagt der Klinikseelsorger. Seine Begegnungen mit dieser Patientin entwickelten sich in eine sehr gute Richtung. Prägungen lösen, gerade bei älteren Menschen, Fragen nach Himmel und Hölle, Teufel, Satan, Schuld und Sühne aus. Michael Ehrhardt nimmt „einst eingeimpfte“ und oft beängstigende Vorstellungen der Menschen sehr ernst und versucht dann, ihnen diese Ängste zu nehmen und von einem liebenden, barmherzigen Gott zu berichten.
Verschiedene Krankheitsbilder
In der Klinikseelsorge wird Michael Ehrhardt mit verschiedenen Krankheitsbildern konfrontiert. Menschen in einer akuten Depression haben andere Bedürfnisse als Patientinnen und Patienten mit Psychosen und Wahnvorstellungen. In der Seelsorgeaufgabe geht er regelmässig in die einstige Klosterkirche der Benediktiner, lässt die Menschen ihren Gedanken Raum geben, Stille erfahren, eine Kerze anzünden. Oder er spielt auf der Orgel, Musik tut gut. Ein weiteres Angebot ist der meditative Rundweg auf dem Klinikgelände, den Pfarrer Reinhold Meier initiiert und hauptsächlich umgesetzt hat. Er führt in zwölf Stationen über das Klinikgelände, Patientinnen und Patienten können ihn alleine oder in Begleitung gehen, innehalten, aufatmen draussen in der frischen Luft.
Ein Kraftort
„In bestimmten Phasen ist es wichtig, einfach sein zu dürfen, ohne Gespräch, ohne Diskussion“, betont Michael Ehrhardt. Auch die historische Kapelle der Klinik St.Pirminsberg ist ein Kraftort für die Kranken, sie fühlen sich in der warmen, spirituellen Umgebung wohl. Michael Ehrhardt ist begeistert von ihrem „Herz“, einem Bild des Künstlers Mathei Metlikovic, das auf sieben Tafeln davon erzählt, wie sich Himmel und Erde verbinden. Auf ein Kreuz ist in der Kapelle bewusst verzichtet worden, unter den Patientinnen und Patienten wie unter dem Personal sind Angehörige verschiedener Religionen, die Kapelle soll ein Ort für alle sein. Die Klinikseelsorger betreuen wenn das gewünscht wird, regelmässig auch Muslime, Hindus oder Buddhisten. Alle Gespräche in der Klinikseelsorge sind vertraulich, nichts wird an Ärzte oder Pflegepersonal weitergegeben. „Ausser es wird von Patientenseite explizit gewünscht“, ergänzt Michael Ehrhardt.
Neugier bis existentielle Fragen
Viele Patientinnen und Patienten jeden Alters wünschen sich Gespräche mit den Seelsorgenden. Manchmal sind sie sehr kurz, es geht um eine Bibelstelle oder schlicht um Neugier, „was der denn so alles bieten kann“. „Doch wenn es um die eigene Geschichte und um existentielle wie spirituelle Fragen geht kann das auch einmal eineinhalb Stunden dauern“, ergänzt der Seelsorger. Er kann sich spontan so viel Zeit nehmen, seine Tage sind ausser für die Gottesdienstzeiten zeitlich nicht durch getaktet, denn spontane Begegnungen sind wesentlich in dieser Aufgabe.
Hochachtung für das Personal
Michael Ehrhardt spricht mit Hochachtung vom Personal der psychiatrischen Klinik Pfäfers mit ihren rund 150 Betten. Gerade bei sehr unruhigen oder gar aggressiven Patientinnen und Patienten ist die Herausforderung für die Pflegenden gross, die den ganzen Tag und nicht nur eine Stunde mit den Menschen unterwegs sind. Der Kontakt sei sehr gut, Wertschätzung spürbar, die Seelsorge in der Klinik anerkannt, betont er. Das wurde auch spürbar während dem Corona-Lockdown, als Michael Ehrhardt und Reinhold Meier auf Anfrage der Patientinnen und Patienten trotz grösster Sicherheitsmassnahmen der Zutritt zur Klink ermöglicht wurde. Auch das ein Zeichen des gegenseitigen Vertrauens.
Eine Karte aus Rom
Wenn Menschen wieder zurück ins Leben finden, spürt der Klinikseelsorger grosse Freude. Michael Ehrhardt erzählt das Beispiel eines Mannes, den er auf der Akutstation kennengelernt hatte. Ein gestandener, kerniger Berufsmann, der sich in dieser Zeit nicht einmal mehr aus seinem Zimmer traute. Er war ganz unten und konnte die Klinik erst nach Monaten verlassen. Monate später erhielt Michael Ehrhardt von ihm eine Postkarte aus den Ferien in Rom, dann eine Weihnachtskarte. „Er hat den Weg zurück ins Leben gefunden und ich bin dankbar, dass ich meinen kleinen Beitrag dazu leisten durfte“.
Bildlegende: Michael Ehrhardt ist seit 2013 in einem 40-Prozent-Pensum in der Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers tätig, er lebt mit seiner Familie in Bad Ragaz und arbeitet weiter zu 20 Prozent in der Rehabilitationsklinik Walenstadtberg. Bild: BistumSG/Sabine Rüthemann