Das heutige «Katholische Kollegium» ist das Parlament der Katholik/-innen im Kanton St. Gallen –Appenzeller/-innen sind nicht beteiligt. Seine Entstehung hängt eng mit der Gründung des Kantons St. Gallen zusammen, der 1803 nach dem Ende der Helvetik mit von Frankreich gezogenen Grenzen seine erste Verfassung erhielt. Das Parlament hiess damals Grosser Rat (heute: Kantonsrat). Der Grosse Rat teilte sich für konfessionelle Angelegenheiten in ein evangelisches und ein katholisches Grossratskollegium. Seit der Verfassungsrevision von 1861 ist der Kanton konfessionell neutral, weshalb die kirchlichen Angelegenheiten fortan nicht mehr im Grossen Rat, sondern im eigens neu geschaffenen Katholischen Kollegium verhandelt wurden.
Ein abenteuerliches 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert hielt einige Turbulenzen parat: 1814, nach dem Sturz Napoleons, gab sich der Kanton eine neue Verfassung und der Katholische Konfessionsteil erhielt die öffentlich-rechtliche Anerkennung. 16 Jahre später wurde die erste Revision mit mehr Rechten für die Bürgerinnen und Bürger gefordert und 1831 eine neue Verfassung in einem riskanten Wahlmanöver angenommen – indem die nicht-stimmenden Männer im Kanton kurzerhand der «Ja-Fraktion» zugerechnet wurden. 1861 folgte die vierte, hart umkämpfte kantonale Verfassung, 1890 die fünfte, diesmal durch eine Volksinitiative initiiert. Sie sollte in Grundzügen über hundert Jahre Bestand haben, bis 2001.
Mit den Verfassungsänderungen passten sich in groben Zügen auch die Strukturen des Kath. Kollegiums denjenigen des Kantonsrats an: Auf 180 Sitze im Ratssaal folgten 180 Sitze im Kollegium. Der Reduktion des Grossen Rats nach politischen Auseinandersetzungen aus finanziellen Gründen auf 120 Personen im Jahr 2008 folgte das Kollegium aber nicht, sondern blieb bei 180.
Ein Drittel Frauen, kaum mehr Priester
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand das Katholische Kollegium zu zwei Dritteln aus katholischen Laien und zu einem Drittel aus Priestern. Für die Kandidaten unter den Priestern waren nur Vertreter der liberalen Richtung denkbar und wählbar, keine Verfechter der konservativ-ultramontanen Gedankenrichtung. Dieser Trend verschärfte sich immer mehr, bis er 1871 im Zuge des Ersten Vatikanischen Konzils seinen Höhepunkt erlebte. Hundert Jahre später – der Kanton St. Gallen nahm das Frauenstimmrecht erst 1972 an – konnten Frauen ins Kollegium gewählt werden; aktuell sind es 67. Seit 2006 sind auch Katholik/-innen mit Migrationshintergrund ohne Schweizer Pass wählbar. In jüngerer Zeit nahm die Zahl der Priester in den Reihen des Kollegiums radikal ab. Aus dem gesamten St. Galler Klerus – inklusive Diakone und Ordenspriester – sind dies der Altstätter Kaplan Peter Legnowski und der Pfarrer von Rapperswil-Jona, Andreas Schönenberger.
Der Präsident, bzw. die Präsidentin des Katholischen Kollegiums wird heute auf zwei Jahre gewählt. Zum Präsidium gehören darüber hinaus der Vizepräsident bzw. die Vizepräsidentin, drei Stimmenzähler/-innen und die Vorsitzenden von sieben Regionalgruppen. Am 10. September 2023 fanden die letzten Gesamterneuerungswahlen des Katholischen Kollegiums statt. Ein gutes Drittel, 61 von 180 Mitgliedern, wurde neu gewählt, und gerade einmal vier von allen Mitgliedern waren bei der letzten Bischofswahl von Markus Büchel am 4. Juli 2006 bereits dabei gewesen.
Das Streichungsrecht – ein monarchisches Privileg
Bei der Bischofswahl im Bistum St. Gallen hat das Kollegium ein so genanntes Streichungsrecht. In den Rechtsquellen wird dies als «Exklusive» bezeichnet oder auch als «das von katholischen Monarchen beanspruchte Recht, unerwünschte Bewerber» von der Wahl auszuschliessen.
Im Regulativ – der Geschäftsordnung des Kollegiums – ist festgehalten, was passiert, wenn die vom Domkapitel erstellte Sechserliste feststeht. Diese Liste mit den sechs Kandidaten wird 180 Mal kopiert und in einem verschlossenen Briefumschlag dem Administrationsrat übergeben. Der Präsident oder die Präsidentin gibt diese ans Kollegium weiter. Innerhalb von 14 Tagen trifft sich das Kollegium zu einer ausserordentlichen Versammlung an der die Präsidentin oder der Präsident an einer Rede die Mitglieder an ihre Verantwortung erinnert. Erst in der Versammlung wird der Umschlag geöffnet. Danach – so lauten die Rechtsvorschriften:
«Es werde sofort die Frage: "Will das Grossratskollegium die vorliegende Liste für die bevorstehende Bischofswahl im allgemeinen halten oder aber nicht?" in geheimer Abstimmung mit "Ja" oder "Nein" beantwortet.» (Regulativ des Katholischen Gremiums, Art. 4)
So streng hatte es das Kollegium 2006 bei der Wahl von Markus Büchel nicht gehandhabt: Damals wurden die Namen vorgelesen und mündlich mit vom Domkapitel erstellen Portraits der Personen ergänzt. Sie beinhalteten den Ausbildungsgang, bisherige Tätigkeiten und die übernommenen Spezialaufgaben. Ausgedruckte Listen kamen nicht zum Einsatz.
Austausch und Schweigepflicht
Die Namen der sechs Kandidaten der Liste erfahren die Mitglieder des Kollegiums erst am Wahltag. Ein Austausch über die Namen im Wahlprozedere ist da nicht möglich. Es liegt folglich an den einzelnen Mitgliedern selbst, im Vorfeld eigenständig Informationen über mögliche Kandidaten einzuholen. Das Bistum St. Gallen stellt aktuell die 13 Mitglieder des Domkapitels in einer Serie von Portraits vor. Damit geschieht ein wichtiger Schritt der Aufklärung, stammten doch 9 der 11 bisherigen St. Galler Bischöfe aus den Reihen des Domkapitels. Über die Frage, ob andere Priester, die für das Amt des Bischofs grundsätzlich in Frage kommen, einer grösseren Gruppe von Kollegiumsmitgliedern bekannt sind, gehen die Einschätzungen auseinander.
Gemäss dem Regulativ haben die Mitglieder die Möglichkeit, bis zu drei Namen zu streichen, und zwar von solchen Kandidaten, die ihnen «mindergenehm» erscheinen. Dabei entscheidet eine Mehrheit. Vor der Wahl 2006 hatte eine informelle Verständigung stattgefunden, welche Kandidaten zu streichen wären, falls sie auf der Liste aufgetaucht wären. In der Geschichte des St. Galler Bischofswahlrechts kam eine Streichung einzelner Namen per Mehrheitsentscheid aber noch nie vor.
Grundsätzlich gilt die während des Prozesses gebotene Schweigepflicht über die Namen der Sechserliste ohne Befristung. Die eigentliche Wahl durch das Domkapitel findet gleichentags statt. Wann der Name des neuen Bischofs verkündet wird, spricht der Nuntius mit dem Domkapitel ab, damit das gleichzeitig geschehen kann. In der Vergangenheit hatte das Diskretionsgebot aber keinen Erfolg, praktisch alle Listen der letzten Bischofswahlen wurden bekannt. 2006 hatte die Schweizer Presse die Kollegiumsmitglieder nach Abschluss der Versammlung bereits am Haupteingang erwartet.
Autorin: Ann-Katrin Gässlein
Mitwirkung: Thomas Franck, Heinz Angehrn, Sr. Fabienne Bucher, Paul Gähwiler-Wick
Foto: Roger Fuchs