Niklaus Kuster lebt im Kapuzinerkloster in Rapperswil und ist unter anderem Lehrbeauftragter für Kirchengeschichte an der Universität Luzern. Am Dienstag, 10. Juni 2025, teilt er seine Gedanken als Referent und Workshopleiter an der ökumienischen Fachtagung «Männer und Spiritualität» des Dachverbandes Schweizer Männer- und Väterorganisationen in Rapperswil. Mitorganisator ist die Fachstelle Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) des Bistums St.Gallen. Wir haben Niklaus Kuster vorgängig interviewt.
Bruder Niklaus, was kommt dir spontan in den Sinn zu den Stichworten «Männer und Spiritualität»?
Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch spirituell begabt ist, ob Mann oder Frau. Natürlich sind die Akzente bei jedem Menschen unterschiedlich und es entfaltet sich die Spiritualität je nach Typ und Charakter verschieden. Nach meiner Erfahrung fällt es Frauen leichter, über Spiritualität zu reden. Frauen haben allgemein das Image, dass sie zu Religion und Spiritualität einen besseren Zugang haben. Wenn sich Männer in einer Sache als zu wenig kompetent ansehen, braucht es einen vertrauensvollen Rahmen, damit sie darüber ins Gespräch kommen. Männer, vermutlich noch mehr als die Frauen, brauchen daher einen gut geschützten Raum, um über ihre Spiritualität oder die Suche danach zu erzählen. Als wir Brüder im Kloster Altdorf unser Haus der Stille, das bis anhin wegen seiner Infrastruktur nur Männern vorbehalten war, auch Frauen öffnen wollten, haben sich Männer dagegen gewehrt. Ein Gast in Auszeit hat trocken bemerkt: «Wenn Frauen dabei sind, verstumme ich.» Andere Männer haben angemerkt, dass es nicht viele Räume gibt, um «von Mann zu Mann» über Spiritualität und innere Wege zu reden.
Du hast als Kapuziner reiche Erfahrung mit spirituellen «Räumen für Männer»: Du lebst seit vierzig Jahren in einer Brüdergemeinschaft.
Als Kapuziner habe ich tatsächlich das Privileg, seit Jahren unter Männern Spiritualität im Alltag leben zu können. In gemeinsamen Werkwochen mit Novizinnen (Azubis) der Menzinger Schwestern machten wir Kapuzinernovizen eine spannende Erfahrung: Die jungen Schwestern erzählten, dass ihnen die Woche in der gemischten Gruppe Luft und mehr Weite gebracht hat. Wir Männer wiederum merkten, dass wir an solchen Tagen aufmerksamer und sensibler wurden. Die Woche hat beide Seiten inspiriert und weitergebracht.
Die Dynamik einer spirituell motivierten Männergemeinschaft bringt eine innere Power mit sich. Wo siehst du Risiken?
Das Unterwegssein mit lauter Brüdern, jungen und reifen, hat in mir vieles entfaltet. Doch gibt es Saiten, die nur Frauen in Männern zum Klingen bringen. So hat die feministische Bibelauslegung Einseitigkeiten in meinem Gottesbild – und in der allzu männlichen Gottesrede meiner Kirche – korrigiert. Die Weisheitsbücher Israels handeln von einer Tochter Gottes. Die Frau Weisheit, die menschliche Wege mitzugehen bereit ist. Jesus Christus ist als Gottes Sohn «mit uns» und geht mit uns durchs Leben. Auch Gottes Tochter Weisheit steht, nach Sprüche 8 im Ersten Testament, an unserem Wegrand und nimmt Einsitz in (männliche) Ratsversammlungen. Gottes weibliche Seiten und das geschwisterliche Zusammenspiel in Teams und in meiner aktuellen Lebensgemeinschaft sind mir wichtig geworden für eine ganzheitliche Spiritualität.
Was verstehst du unter Spiritualität und warum sollen sich Männer darum kümmern?
Spiritualität bedeutet für mich, dem Leben mehr Weite und Tiefe zu geben. Das Leben wird reicher, wenn ich mich mit Spiritualität auseinandersetze und nach Formen und Inhalten suche, in denen ich auch spirituell wachsen und mein Leben entfalten kann. Ein Wachsen, das ich jedem Mann wünsche, nicht nur persönlich, sondern auch zum Heil der Welt.
Du bist Kapuzinerbruder. Was verbindest du mit «Bruder» und was bedeutet dir Franz von Assisi, auf den sich die Kapuziner beziehen?
Meine Berufung und mein Beruf ist: Bruder sein. In der Brüdergemeinschaft der Kapuziner habe ich langjährige Weggefährten gefunden, mit denen ich vieles teile. Das beflügelt mich. Franz hat das Jesuswort, dass wir nur einen Vater haben, nämlich Gott als Vater im Himmel, und dass wir daher alle Geschwister sind, radikal beherzigt. Im Laufe seines Lebens erkannte er sich als Bruder aller Menschen – über die eigene Kultur und Religion hinaus.
Spielten dabei seine Reise nach Ägypten und die Begegnung mit dem Sultan eine Schlüsselrolle?
Begegnungen jenseits der eigenen Bubble öffnen die Horizonte, ja. Mitten im 5. Kreuzzug gegen die muslimische Welt verweigerte sich Franz dem päpstlichen Aufruf zum «Heiligen Krieg». Er folgte weiterhin der Bergpredigt und entschloss sich zu einer Friedensmission, die ein Himmelfahrtskommando war. Zu seiner Überraschung begegnete Franz mit dem Sultan einem sehr spirituellen Menschen und gewann ihn zum Freund. Die Begegnung mit der Alltagsspiritualität muslimischer Männer prägte Franz nachhaltig. Übertragen auf heute, wo mächtige Führer der Welt einen neuen Machismo zelebrieren und Andersdenkende dämonisieren, ist das gelebte Beispiel von Franz von Assisi ein markanter Gegenpunkt, wie sich Männer fürsorglich und verbindend verhalten können. Rüstungen ablegen, nicht aufrüsten. Dahinter steht eine tiefe spirituelle Haltung, die in allen Menschen Söhne und Töchter Gottes sieht. Eine Haltung, die uns auch im Alltag inspirieren kann.
Wie gelingt es deiner Meinung nach, Männer für Spiritualität zu interessieren?
Nicht durch Missionisieren! Mein Weg ist das Teilen. Auch dazu ermutigt mich Franz von Assisi. Wir Kapuziner leben vom Teilen und leben das Teilen, nicht nur im materiellen Sinn oder im Zusammenleben, sondern auch im Spirituellen: Das Teilen von Erfahrungen, von Freuden und Sorgen und von Hoffnung. Teilen schafft eine Vertrautheit, mit der sich auch über Spirituelles austauschen lässt. Mitlebezeiten im Kloster Rapperswil oder auch gemeinsames Pilgern lassen Freude und Sorgen teilen. Das schafft den Rahmen, auch innere Erfahrungen anzusprechen: unangestrengt-natürlich, indem ich davon rede, was mir wichtig ist, was mich nährt, was mir Freude macht und wie ich mit Sorgen umgehe.
Ökumenische Fachtagung «Männer und Spriritualität - Eine Spurensuche»
Dienstag, 10. Juni 2025, 13.45 bis 19.30 Uhr in Rapperswil
Veranstalter: Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisatione (männer.ch) und die Fachgruppe Männerarbeit im kirchlichen Kontext