Am Lebensende stehen Menschen oft vor tiefgreifenden Fragen: «Was gibt meinem Leben Sinn?», «Wer bin ich noch neben meiner Krankheit?» «Wer schaut mich wertschätzend an?», und «Wie bewahre ich meine Würde?» «Diese Themen rücken in den Fokus der Spiritual Care», sagt Ute Latuski, Theologin und Leiterin der Fachstelle BILL (Fachstelle Begleitung in der letzten Lebensphase). Sie nennt das Beispiel einer Patientin, die sich ‘nur noch als Stück Fleisch’ behandelt fühlte und sich wünschte, als Person mit ihren individuellen Bedürfnissen wahrgenommen zu werden. Oder ein Patient, der nach Wegen suchte, ‘Knöpfe’ im Leben zu lösen oder loszulassen, zeigt, wie wichtig diese Begleitung ist.
Spirituelle Begleitung kommt zu kurz
Seit über 20 Jahren betreut der Palliative Brückendienst Schwerkranke und Sterbende zu Hause. Bei diesem Angebot der Krebsliga geht es nicht nur um die körperlichen und psychischen Bedürfnisse, sondern auch um das soziale Umfeld und um den Menschen als spirituelles Wesen. «Dieser Aspekt kommt aber im Vergleich zu den anderen meistens zu kurz», sagt die Pflegefachfrau Brigitte Jäger.
«Dabei wurde schon im letzten Jahrhundert erkannt und beschrieben, dass sich seelisches Leiden auf den Schmerz auswirkt – ja sogar Schmerzen verursachen kann. Es liegt darum auf der Hand, dass die spirituelle Betreuung in einer ganzheitlichen Behandlung nicht fehlen darf.» fährt sie fort.
Mit dem Gegenüber Tiefes ausloten
Aus diesem Grunde absolvierte Brigitte Jäger einen CAS im Fachbereich Spiritual Care und ihre Kollegin Leila Bleichenbacher schloss ihre Ausbildung in Würdezentrierter Therapie ab. Beide fingen im Auftrag des Palliativen Brückendienstes an, Patientinnen und Patienten auch in Spiritual Care zu begleiten. «Häufig drehen sich die Gespräche um Ängste vor dem Sterben, Sorgen um den zurückbleibenden Partner oder die Partnerin», sagt Brigitte Jäger. Leila Bleichenbacher ergänzt: «Oder um die Frage, was nach dem Tod kommt. Manchmal ist ein Blick zurück auf die stolz machenden Lebensabschnitte wertvoll.»
Ein Blick über den Tellerrand inspiriert
«Unsere Besuche sind sehr geschätzt; doch wir erkannten, dass wir den wachsenden Bedarf an spiritueller Begleitung alleine nicht abdecken können», sagt Pflegefachfrau Leila Bleichenbacher. «Im interprofessionellen Austausch sprachen die beiden Kolleginnen vom Brückendienst dieses Manko der religiös-spirituellen Betreuung von Patientinnen und Patienten an», sagt Matthias Angehrn, katholischer Theologe und Seelsorger. Gründe dafür seien der Personalmangel in der Ortsseelsorge und die abnehmende kirchlich-konfessionelle Bindung. Ein Blick u.a. nach Zürich inspirierte jedoch: Dort arbeiten mobile Palliativ-Teams und spezialisierte Seelsorgende bereits erfolgreich zusammen. Pflegefachpersonen ziehen die Seelsorge als spezialisierte Spiritual Care hinzu. Finanziert durch die Landeskirchen, unabhängig von Konfession – ein Modell, das jetzt in der Ostschweiz Schule machen könnte.
Profitieren vom interdisziplinären Team
Gedacht, getan! So entschieden die Krebsliga und die Kirchen im Frühjahr 2024 sich zu ergänzen und im August mit den Einsätzen zu starten: Den Erstkontakt mit den Patientinnen und Patienten knüpfen die Pflegefachpersonen vom Brückendienst. Sie ziehen die beiden Seelsorgenden bei Bedarf hinzu. Was Ute Latuski und Matthias Angehrn dabei betonen: «Ob jemand christlich, muslimisch oder gar nicht glaubend ist, spielt für uns keine Rolle. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu helfen, einen Zugang zu den eigenen Ressourcen und zur eigenen Spiritualität zu finden.» Ihre Arbeit basiere auf wertschätzendem Zuhören und gezielten Fragen. «Wir sind keine Konkurrenz für die Seelsorge in den Pfarreien. Als ökumenisches Team verstehen wir uns als Entlastung auf dem Bistumsgebiet St.Gallen und beider Appenzell», erklärt Ute Latuski.
Momentan besteht das interdisziplinäre Spiritual Care Team aus den beiden Pflegefachpersonen Brigitte Jäger und Leila Bleichenbacher und den beiden Seelsorgenden Matthias Angehrn und Ute Latuski. Mit der Zeit soll ein Pool aus weiteren Seelsorgenden aufgebaut werden, die vom Palliativen Brückendienst zugezogen werden können.
Lücke in der spirituellen Betreuung schliessen
Die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen dem Palliativen Brückendienst und der Seelsorge ist ein erster Schritt, die Lücke in der spirituellen Betreuung zu schließen. Das Projekt, das von den Kirchenleitungen, dem Bistum, den katholischen Administrationsrat und dem reformierten Kirchenrat getragen wird, zeigt eindrücklich, wie wertvoll diese Arbeit für Patienten, Patientinnen und Angehörige ist. Gemeinsames Ziel ist und bleibt, Menschen im Leben und im Sterben mit Würde und Wertschätzung zu begleiten.
Interview mit Ute Latuski auf Radio Life Channel.
Bildlegende:
Das interdisziplinäre Spiritual Care Team v.l.: Ute Latuski, reformierte Theologin und Seelsorgende, Leila Bleichenbacher und Brigitte Jäger, beides Pflegefachpersonen mit Weiterbildungen in Würdezentrierter Therapie bzw. Spiritual Care und Matthias Angehrn, katholischer Theologe und Seelsorger.