Tisch und Schreibtisch mit Laptop in Ivo Fürers Stube im Alters- und Pflegeheim Vita Tertia, Gossau, ist fast flächendeckend belegt mit Büchern, Zeitschriften und Briefen. Einige Laufmeter Bücher stehen in den Regalen, er hat mitgenommen, was möglich war, sehr viele Bücher sind es im Vergleich zu früher aber nicht mehr. An den Wänden hängen Bilder und Fotos sowie sein Bischofswappen mit dem Leitspruch: «Dem Volk Gottes dienen». Bischof Ivo ist gesundheitlich eingeschränkt durch seine Parkinson-Erkrankung, sein Interesse am Geschehen in Kirche und Welt ist jedoch ungebrochen, sein Verstand hellwach.
„Steuermann“ der „Synode 72“
Ivo Fürer hatte in Innsbruck Theologie studiert und promovierte nach einem Weiterstudium in Rom in kanonischem Recht (Kirchenrecht). Der Gossauer erlebte oft an vorderster Front prägende kirchliche Umbrüche und weltpolitische Meilensteine. Als junger Priester nahm er 1962 als Berater des St.Galler Bischofs Josephus Hasler am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. In der Folge war er „Steuermann“ der „Synode 72“, die sowohl auf diözesaner als auch auf gesamtschweizerischer Ebene von 1972 bis 1975 stattfand. Es galt, die Beschlüsse des Konzils umzusetzen: zum Beispiel die Feier der Gottesdienste in den Landessprachen sowie das Bewusstsein für die Ökumene zu wecken und zu vertiefen. Das „Priestertum aller Gläubigen», das gemeinsame Gestalten des kirchlichen Lebens, hat er als Bischofsvikar in Zusammenarbeit mit den pastoralen Räten umgesetzt.
Netzwerker
Eine von Ivo Fürers herausragenden Fähigkeiten war es, Netzwerke zu knüpfen. Seine Kontakte aus Konzil und Synode bildeten eine hervorragende Grundlage für seine langjährige Aufgabe als Generalsekretär des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen CCEE, dessen Sekretariat sich bis heute in St.Gallen befindet. Zuvor als Bischofsvikar in der Bistumsleitung tätig, übernahm Ivo Fürer im Dezember 1977 seine neue Aufgabe. Kaum ein Jahr später wurde der Pole Karol Józef Wojtyla zum Papst gewählt, der sich den Namen Johannes Paul II. gab. Europa steckte damals mitten im Kalten Krieg, und Ivo Fürer erlebte, wie wichtig es nun war, Kontakte mit den Kirchen hinter dem Eisernen Vorhang zu pflegen.
Grosses diplomatisches Geschick
Als Schweizer, zusätzlich im Besitz eines Vatikan-Passes, wurde es ihm möglich, Reisen in die Tschechoslowakei, Russland und Polen zu unternehmen, um das Netz der Kirche hinter dem Eisernen Vorhang weiterzuknüpfen, sehr oft überwacht von der Geheimpolizei. Besonders nahe ging ihm ein Besuch in Alba Julia (Rumänien): Bischof Jakub Antal begrüsste ihn im strömenden Regen an der Treppe des Flugzeugs, ein kleines Blumensträusschen in der Hand. Er sprach vom schönsten Tag seines Lebens. Besuche waren in dieser Zeit ein grosses Geschenk für Menschen im Ostblock, sie spürten, dass «der Westen» sie nicht vergessen hatte. Die evangelische und die katholische Kirche spielten für die Öffnung des Eisernen Vorhangs eine bedeutende Rolle. Mitten drin der Generalsekretär des CCEE aus St.Gallen mit seinem grossen diplomatischen Geschick.
Umfassendes ökumenisches Engagement
Als CCEE-Generalsekretär organisierte Ivo Fürer zugleich bedeutende Versammlungen der Kirchen in ganz Europa. In Basel beispielsweise wurde die „Europäische Ökumenische Versammlung“ 1989 zum ökumenischen Grossereignis. Bei der thematischen Vorbereitung spielte der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker eine bedeutende Rolle, namentlich bei der Frage der Atomenergie, die nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986 ein brennendes Thema war. Basel wurde aber nicht nur deshalb zu einem Meilenstein der neueren Kirchengeschichte, sondern auch, weil unter der Federführung des CCEE die Konferenz der Europäischen Kirchen KEK, bestehend aus evangelischen, orthodoxen, anglikanischen und christkatholischen Gemeinschaften, gemeinsame Dokumente verabschiedet wurden. Unter den Teilnehmenden waren auch grössere Delegationen aus den damals noch kommunistischen Ländern Europas.
Bis zu seiner Wahl zum 10. Bischof von St.Gallen, organisierte Ivo Fürer, stets unterstützt von seiner langjährigen Sekretärin und späteren Kanzlerin Margreth Küng, viele weitere Tagungen mit wesentlichen Themen und Entscheiden.
Für eine zukunftsfähige Kirche
Auch nachdem Ivo Fürer im März 1995 zum 10. Bischof von St.Gallen geweiht worden war, pflegte er die im CCEE geknüpften Kontakte weiter. So gab es beispielsweise regelmässige Treffen hochrangiger Kirchenvertreter in St.Gallen. Unter den Teilnehmenden waren die Kardinäle Carlo Maria Martini (Mailand), Karl Lehmann (Mainz), Godfried Danneels (Mechelen-Brüssel) und Cormac Murphy-O’Connor (Westminster). Die Treffen fanden im privaten Rahmen statt mit der Absicht, im Hintergrund, ohne lautes Getöse, zu einer zukunftsfähigen katholischen Kirche beizutragen. Als es 2005 um die Nachfolge des verstorbenen Papstes Johannes Paul ll. ging, brachten die Mitglieder dieses Zirkels einen argentinischen Kardinal, der ihre Werte teilte, ins Spiel: Jorge Mario Bergoglio. Bischof Ivo Fürer erhielt damals eine Karte aus Rom, auf der geschrieben stand: „Wir sitzen zusammen im Geiste von St.Gallen“. Der Argentinier wurde im ersten Anlauf nicht gewählt, folgte jedoch 2013 auf Papst Benedikt XVI. und wirkt seither als Papst Franziskus.
Die Bedeutung von Ivo Fürers Wirken blieb auch den Universitäten nicht verborgen. Er wurde zum Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg und zum Ehrensenator der Universität St.Gallen ernannt. Verschiedene Bücher sind zu seiner Person und seinem Lebenswerk erschienen.
Bischof von St.Gallen
Ivo Fürers Weitblick prägte schliesslich auch sein Wirken als Bischof, der letzten grossen Aufgabe, die er bis im Oktober 2005 wahrnahm. Er wusste und akzeptierte, dass das vorkonziliär geprägte „Katholische Milieu“ in Auflösung begriffen war. «Wir sind gerufen, hinaus zu gehen aus unserem Treibhaus, um überall in der Gesellschaft, auf freiem Feld, den christlichen Glauben zu leben und zu bezeugen», sagte er einmal dazu. Und er meinte damit: Die Menschen von heute entscheiden sich selbst für oder gegen eine Kirchenzugehörigkeit, die Kirche muss sich ganz neuen Herausforderungen stellen. Eine in den diözesanen Räten vieldiskutierte und lange vorbereitete Konsequenz war beispielsweise die Heraufsetzung des Firm-Alters auf 18 Jahre. Junge Menschen entscheiden nun selbst für oder gegen einen Firm-Weg, ob sie sich in der Kirche engagieren wollen oder nicht, ob sie ihre Kirchenzugehörigkeit mit der Firmung besiegeln wollen oder nicht.
Offen für die Zukunft
Bischof Ivo Fürer stärkte die Stellung der „Laien“ im kirchlichen Dienst. Frauen und Männer sind heute in verantwortungsvollen Positionen tätig, in den Pfarreien und Seelsorgeeinheiten, in den Fachstellen und in der Bistumsleitung. Und er stellte sich stets gegen Weisungen aus Rom, die ein Predigtverbot für nicht-geweihte Mitarbeitende forderten. Lange bevor es ein öffentlich viel diskutiertes Thema war, sprach Ivo Fürer in Rom über die Möglichkeit von „viri probati“, die Weihe von bewährten verheirateten Männern im kirchlichen Dienst – ein Thema, das heute durch die Amazonas-Synode erneut diskutiert wird. Bischof Ivo Fürer hat bestimmt das ganze Synoden-Dokument gelesen und analysiert. Seine Wünsche an die Kirche sind bisher nicht vollumfänglich erfüllt worden, doch sein langes, ausdauerndes Wirken hat Wege geebnet, Spuren hinterlassen. Und er ebnete seinem Nachfolger, Markus Büchel, sowie allen, die zur Gemeinschaft der Kirche des Bistums St.Gallen gehören, manches Wegstück in die heutige Zeit. Noch immer überrascht Ivo Fürer mit neuen, zukunftsweisenden Ansichten und Ideen. BistumSG/sar./eg.
Wir gratulieren ganz herzlich - eine kleine Feier holen wir irgendwann nach!