Immer mehr Menschen machen in unserer Kirche die Erfahrung von Fremdsein. Vielleicht sind gerade sie es, die eine Kirche von morgen vorleben und mitgestalten? Die katholische Theologin Maria Herrmann gab an der 12. Abwiler Tagung Impulse, die 150 hauptamtliche Seelsorgende und Freiwillige aus Pfarreiräten oder Kirchenverwaltungen zum Nachdenken über eigene Fremdheitserfahrungen anregte und über die Kirche von morgen.
Maria Herrmann ist im Bistum Hildesheim für das ökumenische Zukunftsprojekt Kirche2 verantwortlich. Ihre Impulse an der Tagung waren praxisnahe, erzählt auch in Geschichten und Visionen. Ein anschauliches Beispiel: in der Studienzeit arbeitete Maria Herrmann nebenbei als Verkäuferin von Souvenirs in einem Fremdenverkehrsort, die Arbeitskleidung war ein Dirndl. Im Vorstellungsgespräch wurde sie nach Tätowierungen gefragt. „Für wen wäre das ein Problem“, fragte die Theologin. „Und welche Bilder haben wir von Kirche, wo befürchtet die Kirche Tätowierungen?“.
Das Unangepasste gehört dazu, Maria Herrmann macht wie viele die Erfahrung, dass sie sich teils allein fühlt mit ihrem Nachdenken über neue Initiativen in der Kirche. Sie könnte sich Partyseelsorge in ihrem Wohnquartier, wo es viele Bars gibt vorstellen, Kirchenmusik die rumst wie die Metal-Musik von Metallica, oder christliche WGs mit einem grossen Esstisch, an dem täglich gebetet wird.
Ein wesentlicher Impuls den Maria Herrmann gab war der goldene Kreis mit den drei Fragen warum, wie und was. Warum sind manche Organisationen erfolgreicher als andere? „Sie fragen zuerst warum etwas getan wird und nicht was zu tun ist“, betonte Maria Herrmann. Als aktuelles Beispiel nannte sie „fridays for future“, eine Bewegung, die ein sehr klares Warum hat und daraus das Wie und Was entwickelte.
Kirche werde häufig von oben nach unten gedacht. Maria Herrmann ermunterte, die Dynamik zu entdecken, die aus der Frage nach dem Warum entstehen kann. Immer wieder wurden die Teilnehmenden angeregt, über eigene Erfahrungen nachzudenken und auszutauschen. Auch über einen weiteren Impuls, einer „Kirche wie Wasser, flüchtig, fliessend, nicht gestaut“. Alle sind aufgefordert, soziologisch und kirchlich nicht in einer Binnenwelt zu verharren sondern neue, auch unerwartete Fragen zu stellen. Wird die Kirche als fliessend und flüchtig angesehen (liquid church), bleiben zugleich die Antworten nicht unbeweglich bestehen. Anders ausgedrückt: Was ist muss nicht so bleiben.
Was aber passiert, wenn eine fliessende Kirche und die Frage nach dem Warum Grundhaltungen der Pastoral werden? In der Diskussion an der Abtwiler Tagung gab es Zustimmung wie schwierige Fragen: Was hat an Vielfalt Platz? Wie ist es möglich, Gelder in neue pastorale Formen umzuverteilen? Wieviel an Strukturen ist nötig und was ist zu viel? „Warum tun wir uns so schwer damit, neue, überraschende Initiativen zu ergreifen“, fragte ein Teilnehmer. „Wer tut sich leichter?“, fragte Maria Herrmann und sie gab zugleich eine Antwort aus Erfahrung. „Ich mache mich vielleicht unbeliebt damit, aber die krassesten Gründungen waren selten von Hauptamtlichen“. Was haben letztere dann zu tun? Diese Frage stand logischerweise im Raum und die Referentin gab eine klare Antwort: „Nicht im Weg stehen, staunen, Unterstützung und geistliche Begleitung anbieten“.
An diesem Punkt schloss sich der Kreis zum Prozess Neuland im Bistum St.Gallen. Freiwillige erhalten mehr Kompetenzen und Verantwortung in der Pastoral. An die Adresse derer in der Kirchenbasis oder auch in Kirchenverwaltungen und Pfarreiräten, die in den Seelsorgeeinheiten und Pfarreien alles so lassen wollen „wie es schon immer war“, sagte die Referentin: „Einheit in der Kirche bedeutet auch zu fragen, wer noch nicht da ist!“