«Flügge» werden ist Aufgabe aller jungen Menschen. In seinem einführenden Referat sprach Prof. Dr. Guy Bodenmann über stark veränderte Familienrealitäten von Jugendlichen in der Pubertät und ihre Auswirkungen auf den «Abflug» in ein eigenständiges Leben. Anschliessend diskutierten die rund 80 Teilnehmenden, live und online, über die Möglichkeiten der Unterstützung durch kirchliche Jugendarbeit und Familienpastoral.
Für das Befinden der Kinder/Jugendlichen kommt es zusammengefasst weniger auf die Familienform an, als auf die Quantität und Qualität der Interaktion zwischen den Familienmitgliedern und das Familienklima insgesamt. Deutlich wurde im Referat, dass beispielweise eine zerrüttete Partnerbeziehung oder Trennung/Scheidung der Eltern in der Pubertätsphase, das «Flügge werden» und den guten Start ins Erwachsenenleben deutlich erschweren. Der Referent, der den Lehrstuhl für klinische Psychologie (Kinder/Jugendliche/Paare/Familien) belegt, beleuchtete Unterschiede zwischen den heute vielen verschiedenen Familienformen bezüglich des Wohlbefindens von Jugendlichen oder die Adoleszenz als Hochstressphase.
Zeitpunkt des «Abflugs»
Rund 52 Prozent der Jugendlichen sind mit 21 Jahren ausgezogen, 81 Prozent sind es im Alter von 25 Jahren. Wann das Elternhaus verlassen wird und ob eine temporäre Rückkehr ins «Hotel Mamma» erfolgt, hängt von verschiedenen Prädiktoren ab. Ist die Eltern-Kind-Beziehung gut und werden die Autonomiebemühungen wenig unterstützt, erfolgt der «Abflug» später. Jugendliche, die geringe Unterstützung erfahren, weil keine Ressourcen der Eltern oder des Elternteils da sind, werden eher durch Freude/Freundinnen begleitet. Sie ziehen früher aus. Oder Kinder aus Fortsetzungsfamilien (Trennung/Scheidung/neue Familie) ziehen früher aus und kehren seltener wieder zurück als Kinder von gefestigten Zwei-Eltern-Familien. Ob diese aus Mann und Frau oder auch aus einer homosexuellen Partnerschaft bestehen, ist dabei laut Bodenmann nicht entscheidend.
Adoleszenz - Hochstressphase
So belegte der Referent statistisch, dass es Kindern aus (gesunden) Zweielternfamilien am besten geht, am schwersten ist für Jugendliche eine «komplexe Fortsetzungsfamilie», auch Patchworkfamilie genannt. Hier wird von Kindern und Jugendlichen die grösste emotionale Leistung verlangt, beispielsweise haben sie plötzlich zusätzliche Grosseltern. Der Professor betonte weiter, dass in konfliktreichen Zweielternfamilien die Situation für die Kinder nicht besser ist als in Scheidungssituationen. Paare, die sich auseinandergelebt haben warten oft in gutem Glauben mit der Scheidung, bis die Kinder älter werden. «Ein Fehler», betonte der Referent, «in der Adoleszenzphase, einer Hochstressphase, sind Veränderungen deutlich belastender als im früheren Kindesalter».
Sensitivität entscheidend
In allen Familienformen haben Kinder/Jugendliche ein besonders grosses Bedürfnis nach Sicherheit, Liebe oder Anerkennung, nach Autonomie oder Sinnhaftigkeit. Je besser eine Familie diese Bedürfnisse befriedigen kann, desto günstiger ist die Entwicklung des Nachwuchses. «Und über allem steht die Sensitivität der Eltern», sagte Prof. Bodenmann. «Die Mutter beispielsweise puffert auch in der Adoleszenz Stress besser als die beste Freundin». Eltern sind gefordert, die Kinder loszulassen, das bedeutet aber keineswegs ein Beziehungsabbruch, sondern vielmehr ein «Loslassen und Halt geben». Das emotionale Band bestehe weiter, es werde nur elastischer, veranschaulichte der Referent. Jugendpastoral und Familienpastoral können den Ablösungsprozess unterstützen. Eltern finden Beratungsangebote oder Austauschgruppen. Für manche ist es schwierig, nach der Kinderzeit «allein» zurückzubleiben.
«Strangers» als zweiter Kreis
Für Jugendliche sind «Strangers» in dieser Zeit ein wertvoller zweiter Kreis, zu dem sie zusätzlich eine Bindung aufbauen. Bodenmann betonte, dass gerade in schwierigen Eltern-Kind-Beziehungen Freunde, Lehrkräfte, Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter oder eine «externe Familie wie Jungwacht Blauring» eine grosse Stütze sein können. Dabei geht es nicht um Therapie, sondern um ein verlässliches da sein, zeitnah, wenn Probleme auftauchen. In der Austauschrunde wurden diese Themen intensiv diskutiert. Die Kompetenz zu erkennen, wann eine Triage nötig ist und Jugendliche allenfalls weitergewiesen werden sollen an medizinische Fachkräfte, ist dabei sehr entscheidend. Jugendarbeit braucht zeitliche Freiräume. Wenn der Jugendarbeitende auf der Strasse oder nach Aktivitäten mit Kids sprechen, sind sie nicht untätig, sondern leisten Beziehungsarbeit und spüren, wie es den Jugendlichen geht. Kirchliche Jugendarbeit bietet den jungen Menschen Beziehung an und ist gleichzeitig bereit, immer wieder loszulassen. Dabei orientiert sie sich am Bedarf des Jugendlichen. So können Jugendarbeitende eine Art «emotionale Tankstelle» für Jugendliche sein.
Zusammenarbeit wertvoll
Bischof Markus betonte in seinem Schlusswort, dass die Zusammenarbeit der Fachstellen, in diesem Fall der PEF und der DAJU sehr wichtig seien. Jugend- und Familienpastoral lassen sich nicht trennen, Kinder sind in jeder Lebensphase auch zurückgebunden an die Eltern und die Familie. Der Bischof gewichtete auch die Arbeit der Freiwilligen sehr hoch, in der Jubla oder auf dem Firmweg. «Ein guter Firmweg bleibt eine gute Kirchenerfahrung, die Firmbegleitenden könne man nicht hoch genug schätzen». Gute Erfahrungen mit der Kirche geschehen sehr oft im Kinder und Jugendalter, so wird auch der Bischof noch oft angesprochen von ehemaligen Minis, Pfadis oder Jublas. (BistumSG/Sabine Rüthemann)