«Schön, dass ihr hier seid, kommt gut nach Hause.» Mit diesen Worten beendet die Seelsorgerin Hildegard Aepli am Montagabend die Versammlung im Chorraum der St.Galler Kathedrale. Die meisten der rund 500 Gläubigen stehen langsam auf, verlassen den Raum. Einige umarmen sich, andere wischen sich Tränen aus den Augen. Die Stimmung ist bedrückt; aber auch Erleichterung macht sich breit. Diese Art von Trauerfeier ist genau das, was die Kirche ausmacht: Katholikinnen und Katholiken teilen Freude, aber auch Leid und gehen als Gemeinschaft durch dunkle Stunden. Die Seelsorgerinnen Stefania Fenner und Hildegard Aepli sowie Dompfarrer Beat Grögli bekommen von allen Seiten Komplimente. Zusammen mit kirchlichen Mitarbeitenden haben sie zu diesem Anlass, eine Art Trauerfeier, per «St.Galler Tagblatt»-Inserat eingeladen. Nach einer Einleitung zur kürzlich veröffentlichten Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche sowie einem Lagebericht im Bistum St.Gallen haben die Organisatorinnen den Anwesenden in einem Anhörkreis das Wort überlassen. Dabei wurde der Enttäuschung und der Wut ordentlich Luft gemacht.
«Wir sind die Kirche»
«Ich bin wütend wegen der Reformunfähigkeit der Kirche.»«Wir sind eine liberale, aufgeklärte Gesellschaft. Wir müssen die Sache selber angehen.»«Sagt unser Bischof überhaupt die Wahrheit? Ich weiss es nicht mehr.» Die Wortmeldungen blieben alle unkommentiert. Der Anhörkreis hatte den Zweck, den Gedanken Raum zu geben. Auch dringliche Voten, es mögen endlich Reformen geschehen, wurden teilweise mit Applaus quittiert. Ein Gläubiger erinnerte an die irische Tradition des St.Galler Klosters: Schon vor Jahrhunderten hätten sich die Mönche Rom widersetzt. Sie hätten ihre traditionellen irischen Gewänder behalten und jene aus Rom abgelehnt. Einige wollten in ihren Wortmeldungen auch Mut machen und Hoffnung schöpfen. Schliesslich werde die Kirche durch das Volk und die Basis und nicht durch den Klerus gestaltet. «Wir sind die Kirche.»
Zum Schluss des Anlasses sangen die Gläubigen das Taizé-Lied «Dans nos obscurité». Viele zündeten eine Kerze an und stellten sie in die Mitte der Gemeinschaft. Der Taizé-Liedtext erzählt von der Botschaft, dass auch in der Dunkelheit ein Licht scheint. «Ein Licht, das uns niemand nehmen kann», wie es Beat Grögli ausdrückte.
Text und Foto: Sebastian Schneider