Das Domkapitel berät den amtierenden Bischof und es wählt jeweils auch seinen Nachfolger. Doch wer sind die 13 Persönlichkeiten? Heute lernen wir Dompfarrer Beat Grögli kennen.
Welches waren die wichtigsten Stationen in deinem Leben?
Die Ostschweiz ist meine Heimat. Hier bin ich1970 in Wil zur Welt gekommen, als ältester von drei Brüdern, als Sohn von Anton und Rita Grögli-Büeler. Nach der Primar- und Sekundarschule in Wil besuchte ich das Gymnasium Untere Waid in Mörschwil als interner Schüler. Diese drei Jahre im Internat waren für mich eine gute Lebensschule und haben meinen Blick weiter gemacht. Die kleine Gemeinschaft liess gar nichts anderes zu, als dass man sich zusammenraufte. So war ich zum Beispiel plötzlich auch als schlechter Fussballspieler gefragt. In diese Zeit fällt auch mein Entscheid, mit dem christlichen Glauben ernst zu machen: Wenn es wahr ist, dann nimmt es mich in Anspruch! Nach zwei Jahren am Gymnasium Friedberg in Gossau (Matura 1991) zog ich für ein Jahr nach Luzern und absolvierte ein Praktikum in einer sozialpädagogischen Einrichtung für Kinder und Jugendliche. Der Entscheid für das Theologiestudium mit dem Ziel, Priester zu werden, stand aber schon fest. Ich studierte dann in Fribourg (1992-94), Wien (1994/95) und Innsbruck (1995-97) Theologie. Neben dem Studium waren die Erfahrungen im Zusammenleben in den verschiedenen Häusern (Salesianum, Schottenstift-WG, Canisianum) mindestens ebenso wichtige Lernfelder. Im internationalen Priesterseminar Canisianum erlebte ich zudem zum ersten Mal und intensiv Weltkirche. Nach dem Abschluss des Studiums (Mag. theol.) tauchte ich ein in die praktische Seelsorge-Arbeit in der Pfarrei St. Otmar in St. Gallen, zuerst im Pastoralkurs (Berufseinführung 1997/98) und dann nach der Priesterweihe (am 16. August 1998 durch Bischof Ivo Fürer in der Kathedrale St. Gallen) als Vikar (1998-2003). Ich hatte die grosse Chance, die Seelsorge in ihrer ganzen Breite kennenzulernen: als Präses der Pfadfinder und der Minis, in den Gottesdiensten, beim Feiern der Sakramente, in der Firmvorbereitung (noch mit den 6.-Klässler/-innen), in der Begleitung von Gruppen und Einzelnen. Pfarrer Alfons Sonderegger war ein guter Lehrmeister, der mir viel Vertrauen und Freiraum schenkte. Nach diesen ersten intensiven Berufsjahren konnte ich 2003 bis 2006 eine psychologische Zusatzausbildung am Psychologie-Institut der Gregoriana in Rom machen. Neben dieser kompakten Ausbildung (mit Theorie, Selbsterfahrung und praktischer Arbeit) genoss ich die Ewige Stadt und engagierte mich in der Pfarrei Santa Maria in Trastevere als Pfadi-Präses und Firmbegleiter. 2006 kehrte ich nach St. Gallen zurück und arbeitete sieben Jahre in den Pfarreien Rotmonten und Heiligkreuz und in einem Teilpensum im interdiözesanen Einführungsjahr in Chur, einem Jahr der Klärung und Vorbereitung für Priesteramtskandidaten der drei Deutschschweizer Diözesen Basel, Chur und St. Gallen. Zugleich versuchte ich, im Hospiz Heiligkreuz neben der Wallfahrtskirche eine Form von gemeinschaftlichem Leben (vita communis) aufzubauen. Dieser Versuch führte mich an meine eigenen Grenzen und scheiterte schliesslich. 2013 berief mich Bischof Markus ins Residentialkapitel, das mir die Aufgabe als Dompfarrer übertrug. Am Pfingstmontag 2013 wurde ich installiert, und am Tag darauf begannen die Arbeiten für die Neugestaltung des Altarbereiches – ein symbolträchtiges Zusammentreffen! Kirche aufzubauen, an der Kirche weiterzubauen – das wurde mein Leitwort für die kommenden Jahre. Der Spruch bei meiner Primiz am 23. August 1998 in Wil hatte es ja schon vorgezeichnet: „Der Schlussstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn.“ (Epheserbrief 2,20b-21) Die Aufgabe als Dompfarrer ist bis heute eine spannende Netzwerk-Aufgabe, mit vielen Bezügen zu verschiedenen kirchlichen Gruppierungen, zur Kultur, in die Stadt und in die Gesellschaft. Seit 2018 – nach dem plötzlichen Tod von Pfarrer Josef Wirth – übernehme ich als Dekan für die Seelsorge im Lebensraum St. Gallen eine zusätzliche Verantwortung.
Beschreibe dich in ein paar Sätzen.
Wer bin ich? Wie bin ich? – „Wer ich auch bin, dein bin ich, o Gott“ (Dietrich Bonhoeffer in einem Gebet „Wer bin ich?“). Das ist das Erste: Dass ich zu Gott gehöre, dass Gott immer einen Weg für mich hat, dass ich bei ihm immer ein Daheim habe.
Menschen, die mich gut kennen, beschreiben mich als zuverlässig, treu, überlegt, vielseitig interessiert, im Glauben verankert, fundiert, kreativ, als einen, der gerne gestaltet und Verantwortung übernimmt, der nicht aufgehört hat zu lernen. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Diese positiven Eigenschaften können bei Übertreibung auch ins Negative kippen. Und davon bin ich auch nicht verschont.
Was braucht die Kirche aus deiner Sicht am dringendsten – heute und auch in die Zukunft gedacht?
Die Kirche braucht heute und in Zukunft Tiefe und Weite: „Mach den Raum deines Zeltes weit, spann deine Zelttücher aus, ohne zu sparen! Mach deine Zeltseile lang und deine Zeltpflöcke fest!“ (Jesaja 54,2) Das heisst: Die Kirche soll mit vielen verschiedenen Menschen, Gruppen und Institutionen Kontakt haben und zusammenarbeiten; unter ihrem weiten Dach hält sie eine gewisse Vielfalt aus. Diese Weite ist möglich, wenn die Pflöcke tief eingeschlagen sind, wenn die Kirche im Evangelium und im Glauben an Gott fest verankert ist. Die Kirche wird festhalten, am Wort der Heiligen Schrift, an den heiligen Zeichen der Nähe Gottes (den Sakramenten), an der Versammlung am Sonntag („Sine dominico non possumus“), am Gebet (allein und in Gemeinschaft) und am Dienst für andere. Die Kirche der Zukunft wird keine Volkskirche mehr sein, wo man selbstverständlich dazugehört. Aber sie wird hoffentlich immer weiter sein als nur für jene, die sich ganz dafür entschieden haben.
Du musst das Vertrauen der Menschen in die Kirche wieder aufbauen/stärken: Welche Massnahmen triffst du?
eine ehrliche, proaktive Kommunikation der Kirche – nach innen und nach aussen
zugänglich und im Gespräch bleiben – nach innen: für die verschiedenen Gruppierungen in der Kirche; nach aussen: mit der Gesellschaft als Ganzes und mit den unterschiedlichen Stakeholdern
weil die Institution Kirche so glaubwürdig ist, wie es ihre Vertreter sind: selbst möglichst authentisch sein; dieses Authentisch-Sein fördern und fordern
Fünf Fähigkeiten, die ein Bischof in der heutigen Zeit mitbringen muss?
mit einer hohen Belastbarkeit und Resilienz
im christlichen Glauben verankert, fundiert und fähig, diesen Glauben in verschiedenen Kontexten und Bezügen ins Spiel zu bringen
fähig, anderen zu vertrauen, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, Aufgaben und Kompetenzen zu delegieren, loszulassen
fähig, Menschen zu sammeln und zu führen, um Kirche aufzubauen und weiterzuentwickeln
kritisch und mutig der Welt zugewandt (KG 229 „Gib uns Weisheit, gib uns Mut“) und interessiert am Menschen
Welche Anliegen würdest du mit Papst Franziskus bei einem Abendessen besprechen?
Gerne würde ich mit Papst Franziskus über die mögliche Vielfalt und die nötige Einheit in der Kirche sprechen – und wie die Kontinentalkirchen und einzelnen Bischofskonferenzen mehr Kompetenzen erhalten können. Hier sehe ich den Weg, wie die Kirche in wichtigen Fragen weiterkäme. Der Ordo (das Weiheamt) kann nicht mehr nur eine Männersache sein, insbesondere in jenen Ländern, wo die Gesellschaft bereit ist für diese Veränderung. Im Bereich von Sexualität und Lebensführung soll die Kirche weniger urteilen und sogenannte irreguläre Lebenssituationen ernster nehmen.
Ich würde Papst Franziskus ermutigen, im synodalen Prozess der Kirche nicht nur den Dialog zu fördern, sondern auch mehr Mitbestimmung zuzulassen.
Welche Stelle in der Bibel berührt dich?
„Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen.“ (Matthäus-Evangelium 9,36)
Was tust du, um einmal Pause von der Kirche zu machen?
Ich habe grosse Mühe mit der Vorstellung von einer Trennung zwischen Beruf und privat. Der christliche Glaube nimmt einen ganz in Anspruch. Da gibt es keine „Pause“. Wenn mit „Pause von der Kirche“ gemeint ist, wo ich mich gut erholen kann, würde ich so antworten: bei allem, was mit Wasser zu tun hat – im Wasser (schwimmen), auf dem Wasser (segeln, standup paddling), im Dampf (Wellness), im Schnee (skifahren, skaten); dann auch bei Gesprächen mit Freunden und kulturellen Aktivitäten (Theater, Konzerte, Lesen…).
Was ist das „Verrückteste“, das du je getan hast?
Seit 30 Jahren bin ich durch persönliche Kontakte mit der Ukraine verbunden. Die Reisen in dieses Land waren immer etwas „verrückt“. 1996, bei meiner ersten Reise, fünf Jahre nach der Unabhängigkeit, war die Ukraine noch total geprägt von der Sowjetzeit. 2005, bei meiner zweiten Reise, war ich mit Freunden in den Karpaten unterwegs – ohne Karte, „in der Wildnis“.
Wasserskifahren und eine Heissluftballonfahrt gehören auch auf die Liste der verrückteren Sachen.
Etwas verrückt war ich auch, als ich bei der Anfrage von Bischof Markus für die grosse Aufgabe als Dompfarrer einfach mit Freude Ja gesagt habe.
Welcher Mensch hat dich sehr beeinflusst?
Wenn ich mich auf einen Menschen beschränken müsste, würde ich Ignatius von Loyola, den Gründer der Societas Jesu, der Jesuiten nennen. Seine Exerzitien-Spiritualität hat mich sehr geprägt, ebenso die zahlreichen Kontakte mit verschiedenen Jesuiten.
Wenn ich den Kreis etwas weiterziehen darf, gehören meine Eltern dazu sowie einige sehr prägende Pfarrer.
Welches ist für dich der schönste Ort?
Am Bodensee zu sitzen – zum Beispiel im Hörnlibuck bei Staad – und aufs weite Wasser hinausschauen. Immer wieder schön ist auch der Spaziergang über die Dreiweihern oberhalb von St. Gallen mit dem Blick auf die Stadt und auf den Bodensee.
Was kann man nicht mit Worte ausdrücken?
Wenn ich das jetzt sagen könnte, hätte ich doch Worte dafür gefunden.
Gott bleibt für mich schlussendlich unfassbar: Deus semper major.
Und menschlich ohne Worte bleiben oft die übergrosse Freude und der übergrosse Schmerz.