Angesichts der Schreckensbilder aus der Ukraine Worte für einen Ostergruss zu finden fällt mir nicht leicht. Ein Priester betet am offenen Massengrab für ermordete Zivilpersonen und segnet ihre Leichen. Bilder von dramatischen Abschiedsszenen, Frauen und Kinder müssen sich von ihren Männern, Väter und Söhnen trennen und sie im Krieg zurücklassen. Berichte von Zurückgebliebenen, die in dunkeln Kellern hilflos dahinvegetieren. Kaum ist das drückende Pandemiethema in den Medien verstummt, beherrschen Krieg und brutale Zerstörung die Tagesberichte. Not und Leid sind unermesslich. Wo hat in diesem Elend die Botschaft von Ostern Platz?
Bei allem Versagen der Menschen darf die Botschaft von Karwoche und Ostern trotzdem nicht verstummen. In meiner Ratlosigkeit kommt mir ein Ostergruss eines Freundes zu Hilfe. Das Bild: Ein leuchtender Blütenast vor tiefblauem Himmel. Im Innern der Kartentext «Blütenatem wo der Frühling singt. Ich schwöre es, das Lösungswort heisst Liebe». Ein Text von Rose Ausländer. Ihre Worte lassen mich nicht mehr los. Die jüdische Dichterin hat die Schrecken des Krieges am eigenen Leib erfahren im ersten und zweiten Weltkrieg. Sie findet für all die Herausforderungen ihrer bewegten Biografie ein Lösungswort: Liebe. Es deutet den blühenden Frühlingsbaum. Trotz Krieg und Zerstörung wirkt in der Schöpfung eine Kraft, die Leben schenkt und die Zukunft verheisst. Wer sich dem Staunen über die Blütenpracht in diesen Frühlingstagen hingibt, darf spüren, dass die eigenen Seelenkräfte erhellt und gestärkt werden.
Wer hinter diesem farbigen Schöpfungswunder noch einen Schöpfergott erahnen kann, kommt dem Lösungswort «Liebe» sehr nahe. Für uns Menschen, uns zur Freude und uns zum Leben ist alles geschenkt, uns ist es anvertraut – aus Liebe. Es fällt uns nicht schwer, mit diesen Erfahrungen das Johanneswort aus der Bibel zu verbinden «Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihr/ihm.» (1 Joh 4,16) Der blühende Baum ist uns Garant, dass diese Liebe Neues schafft, unbeirrt unserer Lieblosigkeiten, ja sogar unserer Unmenschlichkeiten. Selbst ein geschundener Baum hat die Kraft, wieder neu auszuschlagen und Früchte zu tragen, solange die Wurzeln nicht zerstört sind.
Ostern damals in Jerusalem: Die Liebe treibt Freundinnen und Freunde ans Grab von Jesus. Sie können sich mit seinem Tod nicht abfinden, die Schrecken des brutalen Kreuzweges mit all den Grausamkeiten lasten schwer. Doch die Liebe zu ihm ist mit seinem Tod nicht gestorben. Sie suchen ihn, und sie finden ihn – aber nicht als den Toten, sondern als den Lebendigen. Sie erfahren, dass Seine Liebe in Ihrem eigenen Herzen weiterlebt und sich verschenken will, verschenken in all die Not und in alles Elend hinein. Die Schreckensbilder der Kriegsschauplätze unserer Zeit erschüttern uns; andererseits wecken sie aber auch eine grosse Hilfsbereitschaft und Solidarität. Das schenkt Hoffnung, Neuanfang und lässt Leben neu erblühen. In Jesus hat Gott uns gezeigt, dass er gegenüber der Not der Menschen nicht gleichgültig bleibt. Durch Jesu Leiden, Kreuz und Auferstehung hat Gott uns SEIN Lösungswort geschenkt: Es heisst LIEBE; Gerechtigkeit, Friede und Versöhnung sind möglich.
Diese Botschaft möchte ich zum Osterfest weiterschenken mit dem Wort «Jesus lebt – die Liebe lebt». Auferstehung findet heute statt, wo wir im Osterfest Wurzeln schlagen. Ich wünsche Ihnen allen Kraft im Schweren und den österlichen Mut zur Hoffnung.
+Markus Büchel, Bischof