Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge, liebe freiwillig und ehrenamtlich Engagierte
Jetzt liegt also die historische Vorstudie «zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz» vor. Die Ergebnisse werden viele erschrecken, ärgern, zornig und traurig machen. Bei manchen Menschen werden sie leider wohl auch schlimme
Erfahrungen in Erinnerung rufen. Viele werden sich von der Kirche abwenden oder sich diesen Schritt zumindest ernsthaft überlegen.
Mir ist sehr bewusst, dass durch jeden einzelnen Fall von sexuellem Missbrauch Menschen in ihrem Leben und Glauben verunsichert und teilweise aus der Bahn geworfen werden.
Dennoch gibt es keine Alternative zur Wahrheit. So schmerzhaft es sein mag, wir müssen uns den Tatsachen stellen. Ich ganz persönlich muss zu den Fehlern stehen, die ich gemacht habe.
Der Respekt vor den Opfern gebietet es, sich mit den Ergebnissen der Studie zu befassen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir brauchen tatsächlich einen Perspektivenwechsel. Lange genug wurde ein falsch verstandenes Ansehen der Kirche in den Vordergrund gestellt. Täter und Täterinnen wurden geschützt, um den guten Ruf der Kirche zu wahren.
Ich muss, wir müssen miteinander lernen, die Menschen wahrzunehmen, die zu Opfern wurden, ihre Leiden zum Ausgangspunkt der Bestrebungen um Aufarbeitung und Genugtuung zu machen.
Dafür ist es notwendig, die bittere Wahrheit anzuschauen – auch wenn das weh tut. „Es tut auch allen in unseren Gemeinden weh, die eigentlich unbeteiligt sind, aber die dennoch als Mitglieder der Kirche durch solche Taten mit in Haftung genommen werden“ (Bischof Joachim Wanke)
Ich kann gut verstehen, wenn jemand sich fragt: Was habe ich eigentlich damit zu tun? Ich bin doch kein Täter, keine Täterin…
Das stimmt natürlich für viele Glaubende. Dennoch bleibt niemand, der oder die sich der Kirche verbunden fühlt, von den Nachrichten und Ereignissen unberührt. Unendlich viel Vertrauen ist verloren gegangen.
Um dieses Vertrauen auch nur einigermassen wieder aufzubauen, muss der Perspektivenwechsel von Dauer sein und das gesamte Denken und Handeln der Kirche prägen. Dafür brauchen wir alle; das kann niemand alleine schaffen.
Deshalb haben wir Bischöfe zusammen mit den anderen Auftraggebern beschlossen, den Historikerinnen der Universität Zürich die vertiefte Studie über drei Jahre (2024 – 2026) in Auftrag zu geben. Des Weiteren sind wir entschlossen, in den Themen der Machtfragen, der Sexualmoral, des Priester- und Frauenbildes sowie der Ausbildung und der Personalauswahl konkrete Schritte zu unternehmen, die auch in der Studie eingefordert werden.
Unser aller Blick muss sensibel und wachsam werden, besonders für jene Menschen, die sich von der Kirche verletzt und im Stich gelassen fühlen. Noch nie in meinem Leben als Priester und Bischof habe ich mich so ohnmächtig und hilflos gefühlt wie in diesen Tagen. Ich stehe in der Verantwortung und kann mich nicht auf den Satz zurückziehen: Ich habe nichts gewusst. Ich gestehe Fehler ein, kann damit aber keine einzige Tat rückgängig machen.
Mehr denn je bin ich auf euch alle angewiesen. Ausdrücklich bitte ich alle, die auf den verschiedenen Ebenen der Kirche Mitverantwortung tragen, sich für die Aufklärung und den Perspektivenwechsel, für den Aufbau von Vertrauen einzusetzen. Ich danke allen, die Betroffene auf ihrem Weg begleiten. Ich selber bin bereit für Gespräche mit Betroffenen und mit euch.
Mein besonderer Dank gilt dem Fachgremium gegen sexuelle Übergriffe, das seit über 20 Jahren eine wichtige Arbeit leistet.
Danke euch allen, die ihr mir auf dem Weg zur Umkehr helft und mitgeht. Die Studie hilft uns hinzuschauen und aufzudecken. Ich hoffe sehr, dass wir daraus vieles lernen und bessere Strukturen und Bedingungen schaffen werden.
Mit herzlichen Segenswünschen
Bischof Markus Büchel