Liebe Schwestern und Brüder im Glauben
Mit dem neuen Jahr 2025 starten wir in vielerlei Hinsicht in ein besonderes Jahr:
… ein Blick in unsere Welt
Politisch und wirtschaftlich belasten uns viele Herausforderungen. Ohnmächtig und hilflos stehen wir dem unmenschlichen Kriegsgeschehen in vielen Teilen dieser Welt gegenüber. Gewalt und Brutalität werden uns in den Nachrichten täglich vor Augen geführt. Naturkatastrophen und Flüchtlingsnot lassen uns verstummen ob der Unmenschlichkeit, der ganze Völker und Kulturen ausgesetzt sind. Menschliches Mitgefühl und Solidarität sind gross, und doch haben wir oft das Gefühl, es sei nur wie ein Tropfen auf den heissen Stein. Hilflosigkeit, Ängste und ein düsterer Blick in die Zukunft prägen bei vielen das Lebensgefühl. Menschen im Arbeitsprozess bangen um ihren Arbeitsplatz. Junge Menschen fragen sich, wo sie sich noch orientieren und festhalten können. Sie sehnen sich nach Sicherheit und Geborgenheit, und viele meinen, es in einer Art Scheinwelt und in Abhängigkeiten zu finden. Betagte Menschen haben Angst, zur Last zu fallen, und kommen sich nutzlos vor. Rückzug, Vereinsamung und Flucht in eine Konsumwelt sind oft die Antwort auf ein Leben ohne Vision für die Zukunft. Viele, vor allem auch junge Eltern, fragen sich ernsthaft: Was für eine Welt überlassen wir den kommenden Generationen?
… ein Blick auf unsere Kirche
Liebe Mitchristen
Noch immer ist die Kirche ein Ort, wo Menschen aus allen Generationen und aus verschiedenen Milieus Sinn und ein Gefühl von Verbundenheit und Gemeinschaft erfahren. Aber auch als Kirche stehen wir vor grossen Herausforderungen. Die Bindung an die kirchliche Gemeinschaft schwindet von Generation zu Generation. Kirchenaustritte nehmen zu. Das schmerzt. Wir müssen lernen, Fehler und Versagen der Vergangenheit zuzugeben und durch neue Massnahmen Vertrauen und Glaubwürdigkeit wieder zu finden. Es gelingt uns nicht immer, die «Zeichen der Zeit» richtig zu deuten und aus dem Glauben heraus jene Antworten zu geben, welche die Menschen von heute in ihrer Situation treffen und die sie verstehen. All dies entbindet uns aber nicht von der Aufgabe, die Frohbotschaft Jesu zu verkünden und die Gottesbeziehung als Lebensanker anzubieten. Papst Franziskus setzt auf synodalen Aufbruch. Das heisst: auf eine Kirche, in der die Verschiedenheit der Kulturen mit ihren je eigenen Entwicklungen zur gegenseitigen Bereicherung und nicht zur Trennung führen. Solcher Wandel verlangt Gespräch, Geduld, viel gegenseitigen Respekt und achtsamen Umgang miteinander.
Das Heilige Jahr als Chance
Die Tradition, alle 25 Jahre ein «heiliges Jahr» auszurufen, passt gut in diese vielseitigen Herausforderungen. Diese «Jubeljahre» laden ein, persönlich wie als Gemeinschaft inne zu halten, Ballast der Vergangenheit abzuwerfen und mit Blick auf das Wesentliche den künftigen Weg zu planen. Papst Franziskus hat uns eingeladen, als «Pilger der Hoffnung» aufzubrechen. Pilgern ist in den letzten Jahren für viele Menschen zu einer beliebten Form gelebter Spiritualität geworden, die dem heutigen Lebensgefühl entspricht. Pilger und Pilgerinnen haben ein Ziel vor Augen. Pilgern macht deutlich, dass auch weite Wege Schritt für Schritt gegangen werden. Mit dem äusseren Weg verbunden ist zugleich ein Weg nach innen, in die Tiefe, zum Wesentlichen. Es ist Suche nach dem, was trägt, was Halt gibt. Pilgern heisst auch, auf der Suche zu sein nach dem letzten Ziel, auf das hin wir durch die verschiedenen Lebensetappen unterwegs sind. So nennt uns Franziskus «Pilger der Hoffnung». Wir wandern also auf ein Ziel hin, das Leben in Fülle verheisst, nicht Zerstörung des Lebens im Tod. Wenn wir diese Gedanken mit der Botschaft von der Taufe Jesu verbinden, wandern wir unter dem «offenen Himmel». Dies ist der Hoffnungsanker, der uns in jeder Lebenssituation Halt und Kraft schenkt. Garant dafür ist Jesus, der das irdische Leben in Freud und Leid mit uns geteilt hat. Sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung sind für uns zum Geschenk geworden, das uns den Himmel offenhält. Durch die Verbundenheit mit Christus in der Taufe ist auch mir das Wort zugesagt: «Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter».
Das Heilige Jahr wird für uns zum heilenden Jahr, wenn wir über das Geschenk des Lebens dankbar staunen und aus der Gewissheit des Glaubens uns als Pilger der Hoffnung einsetzen für die Menschen, mit denen wir zusammenleben. Die grosse Not der Weltsituation können wir nicht einfach ändern, aber wir können in unserem Dasein kleine Zeichen der Hoffnung setzen. Junge wie betagte Menschen brauchen die Erfahrung, geliebt und angenommen zu sein, um das Vertrauen in einen liebenden Gott, der uns am Ziel erwartet, nicht zu verlieren. Wo wir ganz konkret in unserem Alltag Freude schenken, wird die Hoffnung genährt. Und wo unsere Wege nicht hinkommen und unsere Arme nicht hinlangen, bitte ich, grosszügig an unsere kirchlichen Hilfswerke wie die Fastenaktion und Caritas zu denken, die sich professionell in der weiten Welt für Lebenswürde und Zukunftshoffnung einsetzen. Hoffnungsträger bleiben wir aber vor allem – darauf will uns das Heilige Jahr auch hinweisen – wenn wir immer wieder Kraft schöpfen in der tragenden Gemeinschaft der Kirche, im Gebet und im Empfang der Sakramente. Sie sind der Anker, in dem unser Glaubensleben immer neu Halt findet. Es ist nicht zufällig, dass im Dreiklang von Glauben, Hoffnung und Liebe der Anker Symbol für die Hoffnung ist.
In Freude und Hoffnung
Und zum Schluss, liebe Mitchristen: Für mich persönlich bringt das Jahr 2025 eine grosse Veränderung. Ich darf mein Amt als Bischof von St. Gallen einem Nachfolger weitergeben. Mit grosser Dankbarkeit blicke ich zurück auf meine 19 aktiven Bischofsjahre, durch die ich als «Pilger der Hoffnung» gegangen bin. Zu Beginn für meinen bischöflichen Dienst wählte ich das Leitwort «In gaudio et spe – In Freude und Hoffnung». Neben dem Herausfordernden habe ich viel Freude und Unterstützung erfahren. Ich wusste mich stets begleitet von der Gnade Gottes und von vielen Menschen, die mir Hoffnung, Zuversicht und Wertschätzung schenkten. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie allen, die in Räten und Kommissionen und mit ihrem Beten mitgetragen haben, bin ich von Herzen dankbar. Mit Freude gehe ich den Weg weiter in die neue Lebensphase als «Pilger der Hoffnung».
Ihnen allen wünsche ich von Herzen ein gesegnetes Heiliges Jahr 2025.
+ Markus Büchel, Bischof