Wenn wir Staunen, verlangsamt sich der Herzschlag, erblasst der Alltagslärm, erscheint ein verträumtes Lächeln auf den Lippen. Dann dreht die Welt wieder weiter, alles ist wie gewohnt.
Richard Rohr schreibt dazu: «Sie müssen nur hinausgehen und ein einzelnes Blatt lange und liebevoll ansehen, bis Sie wissen, wirklich wissen, dass dieses Blatt am ewigen Sein Gottes teilnimmt. Das ist eigentlich genug, um Ekstase in Ihnen auszulösen.»
Staunen erweitert unseren Sinn für das Übersinnliche und hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Durch das Staunen kommen wir ganz zu uns selbst und wir verbinden uns gleichzeitig mit unserer Umwelt und den Mitmenschen. Verwundert und ergriffen, erfasst uns eine Ehrfurcht und ein tiefes Glücksgefühl. Aus dem Staunen über die kleineren und grösseren Wunder in unserem Leben können wir neue Kraft und Hoffnung schöpfen, die uns durch die Herausforderungen des Lebens tragen.
Verwundert und ergriffen waren auch die ersten Jüngerinnen und Jünger, die Jesus in den Himmel aufsteigen sahen. Tatsächlich feiert die Christenheit an Auffahrt ein altes Erinnerungsfest, an dem etwas ziemlich Unglaubliches im Zentrum steht: Jesus Christus fährt als Sohn Gottes zu seinem Vater in den Himmel auf. Im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte wird diese «Himmelfahrt» als ein sichtbarer Vorgang erzählt. Christus verschwindet vor den Augen seiner Jüngerinnen und Jünger und wird in den Himmel emporgehoben. Diese staunten nicht schlecht über dieses Wunder, wovon sie gerade Zeugen wurden.
Christi Himmelfahrt ist im christlichen Kalender fest verankert – und fällt jedes Jahr als 40. Tag nach Ostern auf einen Donnerstag. Ein ganz gewöhnlicher Tag wird so zu einem besonderen arbeitsfreien Feiertag. Ein arbeitsfreier Tag mitten unter der Woche ist in der so beschleunigten und effizienzgesteuerten Welt von heute eine Seltenheit und wird von Menschen, die das nicht kennen, durchaus mit grosser Verwunderung wahrgenommen. Das Staunen der Jünger und Jüngerinnen unterbricht noch heute als Feiertag unseren Alltag, Ehrfurcht weicht der Effizienz, Hoffnung erhält ihren Raum.
Leider müssen wir uns derzeit oft über Dinge wundern und staunen, die uns entsetzen. Dann sind wir nicht mehr von Ehrfurcht ergriffen, sondern von Furcht und Angst. Die Welt ist nicht mehr sicher, auch nicht bei uns. Das Recht des Stärkeren scheint sich vielerorts breitzumachen, Respektlosigkeit gegenüber Andersdenkenden nimmt überhand, Kriege bestimmen den Lauf der Zeit. Worüber können wir da als Christinnen und Christen noch staunen?
Ein Blick in die Apostelgeschichte zeigt: Jesus fährt in den Himmel auf, aber er kommt zurück und bleibt bei uns: «Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.» (Apg 1,11) Auffahrt verbindet Himmel und Erde, Gott und Mensch, das Grosse mit dem Kleinen, das Übersinnliche mit dem Handfesten.
Daraus schöpfen wir Christinnen und Christen Hoffnung. Auffahrt ist uns Ermutigung, nicht nur beim Blick in den Himmel zu verweilen, sondern auch auf der Erde in unserem ganz normalen Leben der Schöpfung und jedem einzelnen Menschen Ehrfurcht zu bezeugen und die Würde des Gegenübers zu achten. Und zu staunen über das viele auch noch so kleine Schöne und Wunderbare. Das gibt Hoffnung.
Gemeinsames Wort zur Auffahrt von der Schweizerischen Bischofskonferenz, der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz und der Christkatholischen Kirche der Schweiz