„Wenn wir heute über Kirche reden, müssen wir zuerst an uns selbst denken, nicht an den Bischof oder an den Papst. Jeder Einzelne muss sich fragen: Was ist mein Beitrag zum Aufbau der Kirche?“. Das sagte Bischof em. Ivo Fürer anlässlich der Vernissage seiner beiden Bücher „Kirche im Wandel der Zeit“ und „Die Entwicklung Europas fordert die Kirchen heraus“. Die Vernissage fand am Sonntag, 9. Dezember, im Musiksaal des Stiftsbezirks St.Gallen statt.
„In beiden thematisch zueinander passenden Werken wird deutlich, wie sehr Bischof Ivo Fürer mit Mut und Visionen die Kirche in der Schweiz und in Europa mitgeprägt hat“, sagte Bischof Markus Büchel bei der Begrüssung. An der Vernissage nahmen Gäste aus dem In- und Ausland teil, darunter der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner aus Wien, Professor Franz Xaver Bischof aus München, alt-Bundesrätin Ruth Metzler, Regierungsrat Benedikt Würth, Pater Martin Werlen sowie Bischof em. Peter Henrici (Bistum Chur). Musikalisch umrahmt wurde die Feier vom Collegium Vocale unter der Leitung von Domkapellmeister Andreas Gut.
Ein grosser Netzwerker
Das Buch „Kirche im Wandel der Zeit – Konzil, Synode 72 und die Zusammenarbeit der Bischöfe Europas“ dokumentiert aus persönlichen Erinnerungen und Reflexionen aus heutiger Sicht ein halbes Jahrhundert Kirchengeschichte, die für die Zukunft der katholischen Kirche richtungsweisend geworden ist: „Nach dem Konzil war Ivo Fürer eine treibende Kraft für eine Synode in der Schweiz. Unter seiner Koordination wurde sie von 1972 bis 1975 durchgeführt. Die Kontakte aus Konzil und Synode bildeten die Grundlage für sein grosses Netzwerk innerhalb und ausserhalb der katholischen Kirche. Er war im Bistum St.Gallen, in der ganzen Schweiz und international tätig. 1977 wurde er zum Sekretär des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) gewählt, für den er bis zu seiner Wahl zum Bischof von St.Gallen im Jahr 1995 viele Tagungen organisierte“, schreibt die Publizistin Yvonne Steiner im Vorwort des von ihr herausgegebenen Buches. Margreth Küng, seine langjährige Sekretärin und spätere Kanzlerin, unterstützte ihn in all den Jahren mit Umsicht und Tatkraft.
Kraft zur Gestaltung der Zukunft
Im Gespräch mit Yvonne Steiner hob Bischof Ivo Fürer zunächst die neue, vom Konzil erarbeite Sicht von Kirche – Kirche als Volk Gottes – hervor: Jeder und jede sei gerufen, seinen Beitrag zum Aufbau der Kirche zu geben. Die Synode 72 habe die Ergebnisse aus dem Konzil in die Bistümer der Schweiz übertragen. „Die Texte sind von Priestern und Laien zusammen formuliert und vom Bischof bestätigt worden. Dies gibt uns die Hoffnung, dass auch heute in der Kirche die Kraft vorhanden ist, die Zukunft zu gestalten.“
Brückenbauer zwischen Ost und West
Als Generalsekretär des CCEE stand Bischof Ivo Fürer mit Kirchenleuten in der ganzen Welt in Verbindung. „Der CCEE hat geholfen, über nationale Grenzen hinauszusehen. Dies war vor allem von grosser Bedeutung in der Zeit der Trennung von Ost und West in Europa. Im Westen konnte man die Neuerungen des Konzils umsetzen. Im Osten musste die Kirche sich vor allem gegenüber dem atheistischen System des Kommunismus behaupten“, so Bischof Ivo Fürer. Dies habe zu unterschiedlichen Kirchenverständnissen geführt. Der CCEE habe sich bemüht, zwischen dem Osten und dem Westen Brücken zu bauen. „Heute versucht die Kirche, den Zentralismus und die europäische Prägung zu überwinden.“
Neue Geisteshaltung gefordert
Paul M. Zulehner sprach zum Buch „Die Entwicklung Europas fordert die Kirchen heraus: Die Tätigkeit des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) von seiner Gründung 1971 bis 1996“. Er wies darauf hin, dass der ehemalige Präsident des CCEE, Kardinal Carlo M. Martini, eine positive Sicht der modernen Welt vertrat. „Er veranlasste schon 1985, dass der CCEE von der Deutungskategorie ‚Säkularisierung‘ Abschied nehmen müsse. Also nicht die behauptete Gottlosigkeit der modernen Welt sollte zum Ausgangspunkt der Evangelisierung genommen werden, sondern das ganz konkrete Leben der Menschen von heute.“
Kontinentalisierung der Weltkirche
„Am Beispiel des CCEE kann ein zweiter Aspekt studiert werden, der für die Kirche in der Welt von heute bedeutend ist: die Kontinentalisierung der katholischen Weltkirche“, führte der Wiener Pastoraltheologe weiter aus. Kontinentalisierung bedeute Dezentralisierung der Weltkirche. Papst Franziskus habe ein enormes Verständnis für die kontinentalen Bischofskonferenzen entwickelt. „In Evangelii gaudium, seiner Regierungserklärung aus dem Jahre 2013, zitiert er mehr als 40 Mal verschiedene Bischofskonferenzen. So kann man etwa lesen: ‚wie die Bischöfe Indiens lehren…‘ Papst Franziskus ist davon überzeugt, dass Gottes Geist nicht nur in der Vatikanischen Zentrale am Werk ist, sondern auch an der Peripherie.“
Paul M. Zulehner wies darauf hin, „dass es gegen die Kontinentalisierung der Weltkirche massive Widerstände im historisch gewachsenen kirchlichen System gibt und geben wird“. Deshalb habe er im Oktober 2017 zusammen mit dem Theologen Tomas Halik aus Prag die Aktion ProPopeFrancis lanciert. „Dem Papst sollte damit für den von ihm eingeschlagenen, couragierten Weg der Weiterentwicklung der Weltkirche emotional wie theologisch Unterstützung signalisiert werden.“ – Zum Schluss dankte er Bischof Ivo Fürer für sein enormes Engagement für die Kirche in Europa, „das in dem Buch einen würdigen Nachklang gefunden hat“.
- Fürer, Ivo: Kirche im Wandel der Zeit – Konzil, Synode 72 und die Zusammenarbeit der Bischöfe Europas, Zürich 2018
- Fürer, Ivo: Die Entwicklung Europas fordert die Kirchen heraus: Die Tätigkeit des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) von seiner Gründung 1971 bis 1996, Ostfildern 2018