1. Welche Schritte sind diesbezüglich im Bistum St. Gallen schon unternommen worden und welche weiteren sind geplant?
- Für die Studierenden wurde bereits 2022 ein Tag zum Thema «Sexualität – ein wichtiger Aspekt des Menschseins» angeboten. Die Studierenden werden darin angeleitet, ihrer sexuellen Biografie, Identität und Entwicklung nachzugehen. Dieser Tag soll in Zukunft fester Bestandteil der Studierendenbegleitung werden.
- Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens findet seit rund 20 Jahren eine psychologische Abklärung beim Vertrauenspsychologen statt. Unter anderem werden dort Fragen zum Umgang mit Nähe und Distanz angesprochen.
- Im Rahmen der Berufseinführung besuchen alle - Priester, Seelsorgende und Religionspädagogen und -pädagoginnen - die zweitägige Einführung ins Schutzkonzept des Bistums und befassen sich intensiv mit Fragen von Nähe und Distanz. Dies ist seit mehreren Jahren üblich.
2. Wieso ist aus Ihrer Sicht schon bei der Priesterausbildung/-auswahl anzusetzen?
Durch eine sorgfältige Ausbildung und Auswahl der Priesterkandidaten, aber auch den zukünftigen Seelsorgenden und Religionspädagogen und -pädagoginnen können Personen, die für die Aufgabe ungeeignet sind bzw. problematische Verhaltensweisen zeigen, möglicherweise erkannt und abgehalten werden. Gleichzeitig gibt es auch den Kandidaten die Möglichkeiten, ihre Eignung und ihr Verhalten zu überprüfen und einzuordnen. Eine sorgfältige Ausbildung trägt dazu bei, dass Personen darauf vorbereitet sind, gesunde und respektvolle Beziehungen zu den Gläubigen aufzubauen und angemessen auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Indem man die Auswahlkriterien und Ausbildungsprogramme überarbeitet, kann die Kirche eine Kultur fördern, die Offenheit, Transparenz und Verantwortung in Bezug auf Fehlverhalten fördert und den Schutz der Betroffenen stärkt. Sorgfalt in der Priesterausbildung und -auswahl signalisiert auch den Gläubigen und der Öffentlichkeit, dass die Kirche sich aktiv bemüht, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sich zu verändern und Vertrauen wiederherzustellen. Sorgfalt ist bei der Auswahl aller Mitarbeitenden wichtig.
3. Was ist in der Vergangenheit hier schiefgelaufen?
In der Vergangenheit gab es oft eine Kultur des Schweigens und der Vertuschung innerhalb der Kirche. Schutz und Prävention waren noch vor gut 20 Jahren kaum ein Thema – teilweise in den Jugendverbänden und bei der Ministrantenbegleitung. Das Bistum St. Gallen hat die Dringlichkeit von Massnahmen früh erkannt und 2016 das Schutzkonzept erarbeitet und seitdem immer wieder angepasst.
4. Wie kann das Priesteramt wieder attraktiver für potenzielle Kandidaten werden?
Eine zeitgemässe und spannende Ausbildung, die neben theologischem Wissen auch Fähigkeiten vermittelt, die den Anliegen der heutigen Gesellschaft gerecht werden: beispielsweise Projektmanagement, Soziologie, Psychologie, Spiritualität, Ethik, Kommunikation und Kreativität. Das kann auch die Ausbildung attraktiver machen und stellt sicher, dass Priester besser auf die Herausforderungen ihrer Arbeit vorbereitet sind. Auch die Bedürfnisse der Pfarreien und die Erwartungen der Gläubigen haben sich verändert – heute sind Priester vielmehr in ein Team eingebunden und weniger ‘Einzelkämpfer’.
Diskussionen um einen freiwilligen Zölibat und die Frauenfrage sollten dringend weitergeführt werden.
Der Artikel dazu ist am Montag, 18. März hier erschienen.