In der Schweiz nimmt die Zahl der Christen ab, dafür gibt es immer mehr Konfessionslose. Und wer Kirchenmitglied bleibt, hat oft ein distanziertes Verhältnis zur Institution Kirche. Dieser religionssoziologische Wandel stellt aus Sicht des St. Galler Kirchenrechtlers und Sozialethikers Claudius Luterbacher die rechtliche Legitimität der Kirchensteuer für Unternehmen nicht in Frage. Der 34-jährige Kanzler des Bistums St. Gallen äusserte sich am Dienstag in einem Interview der Presseagentur Kipa zu dieser Form der Kirchenfinanzierung, über die 2014 in drei Kantonen an der Urne abgestimmt wird.
Mit Hilfe von Steuern würden Lasten für bestimmte Aufgaben, die man über Privatinitiativen nicht sinnvoll lösen könne, "möglichst gerecht" verteilt, damit jeder seinen Teil zur Finanzierung beitrage, erklärte Luterbacher. Für die Legitimität der Kirchensteuer für Unternehmen sei deshalb nicht der religionssoziologische Wandel massgeblich. Entscheidend sei vielmehr eine andere Frage: "Rechtfertigen die Leistungen (der Kirchen, die Red.), die für die Allgemeinheit erbracht werden und die über diese Steuer finanziert werden, ein Steuersystem?" Die Antwort auf diese Frage müsse das Stimmvolk geben, so Luterbacher.
Gelder zweckgebunden verwenden
Den religionssoziologischen Veränderungen könne jedoch mit einer Zweckbindung für die Verwendung der Einnahmen aus der Kirchensteuer für Unternehmen Rechnung getragen werden. Eine solche hält der Sozialethiker für sinnvoll. "Mit der Zweckbindung wird erreicht, dass die Steuermittel für diejenigen Leistungen der Kirche eingesetzt werden, die aus Sicht der heutigen Gesellschaft von allgemeinem Nutzen sind", sagte Luterbacher im Interview.
Er selber findet, die Einnahmen aus dieser Steuer sollten in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur eingesetzt werden. Insbesondere im karitativen Bereich leiste die Kirche viel, das einen "direkten Nutzen für die Gesamtgesellschaft" habe.
Keine Religionsfreiheit für Unternehmen
Die Zürcher Jungfreisinnigen, die via Volksinitiative die Kirchensteuer für Unternehmen abschaffen wollen, kritisieren, dass Firmen der Kirchensteuerpflicht unterstehen, obwohl sie in der Regel weder religiös seien noch einer Kirche angehören könnten. Hier gehe es um die Frage, ob juristische Personen den Schutz der Religionsfreiheit geniessen oder nicht, sagte Luterbacher.
Der Kirchenrechtler verneint dies. Eine juristische Person, die ein abstraktes Gebilde darstelle, habe "kein Gewissen", so Luterbacher unter Berufung auf die Rechtsprechung zu Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention. "Meines Erachtens funktioniert analog dazu der Schutz der Religionsfreiheit nicht für juristische Personen. Da halte ich das Argument des Bundesgerichts für richtig: Wenn eine natürliche Person Teile ihres Vermögens in eine juristische Person auslagert, dann ist das mit Vorteilen verbunden, aber auch mit Pflichten, etwa der Pflicht, Steuern zu bezahlen." Dies gelte auch für die von einem Muslimen geführte Einmann-Aktiengesellschaft. (kipa/bal/job)