Jugendliche in der Leistungsmühle
24. Diözesanforum kirchliche Jugendarbeit: Zählt nur die Leistung?
Leistung, Leistungsdruck, Leistungsgesellschaft – Leistungsmühle. Ob Schule oder Berufslehre, Fussballklub oder Musikverein. Häufig werden Jugendliche vor allem aufgrund ihrer Leistungen beurteilt. Viele passen sich diesen Spielregeln gut an. Aber längst nicht alle.
Die Fachstelle Jugendarbeit im Bistum St. Gallen hatte (Jugend-)Seelsorgende, Ratsmitglieder oder engagierte Freiwillige in Firmung ab 18 und Jugendarbeit unter diesem Thema zur Tagung eingeladen. Gut 70 Teilnehmende verfolgten die Referate von Dr. Claudius Luterbacher, Bischöflicher Kanzler und Sozialethiker und aus soziologischer Sicht von Dr. Eva-Baumann-Neuhaus, Schweizerisches Pastoralsoziologisches Institut (wegen Verhinderung verlesen von Judith Albisser).
Babyboomer, digital natives
Judith Albisser sprach über die Babyboomer-Generation der Jahrgänge 1960 bis ca. 1980. Diese wuchs auf unter dem Motto: „Wenn Du willst, dann schaffst Du es!“. Die beruflichen Chancen waren gut, die Beheimatung in einem Umfeld mit Familie, im Dorf, in Vereinen in der Regel auch. Die späteren Jahrgänge werden soziologisch als „digital natives“ bezeichnet. Viele leben zwischen Überfluss und Mangel. Materiell sind sie meist gut versorgt, ihre Bildungschancen sind intakt, sie haben grosse persönliche Freiheit. Demgegenüber steht ein Mangel an Orientierung und verlässlichen Beziehungen. Für die Generation, die digitale Kanäle nützt wie keine andere bisher stellen sich Fragen wie: „sind Facebook-Freunde echte Freunde?“. Eine unklarere berufliche Zukunft prägt diese Generation mehr als die vorhergehende. Leistung wird überall gefordert, nicht allein in Schule oder Beruf, sondern auch in der Freizeit, in Modefragen, bei der Anzahl Freunde und Likes auf social media. Jugendliche dieser Generation wünschen sich laut Umfragen vor allem ein intaktes Familienleben und gute Freunde.
Der Sozialethiker Claudius Luterbacher bezeichnete Leistung als etwas grundsätzlich Positives. Auch in der Gruppe (oder im Berufsteam), in der Ziele erreicht werden können, die ein einzelner niemals erreichen würde. Die Summe aller Leistungen zählt, auch kleinere Beiträge sind wertvoll. Schädlich ist überhöhter Leistungsdruck, wenn Leistung die Masseinheit wird, die über allen anderen Kriterien wie Gesundheit oder Freizeit steht.
Schwache als Verlierer
Die vielzitierte Leistungsgesellschaft macht dann Schwächere zu Verlierern, die Moral kann leiden, indem unlautere Mittel zur Leistungssteigerung eingesetzt werden. Sei es im Sport durch Doping oder beruflich durch „faule“ Geschäfte. Auch wenn im christlichen Menschenbild Leistung als grundsätzlich positiv gesehen wird, darf nicht von jedem Menschen dieselbe Leistung erwartet werden. Ständige Über- oder auch Unterforderung führt zu Reaktionen körperlicher und psychischer Natur. Leistung darf sich zudem nicht allein in Schulnoten oder Geschäftserfolgen messen, sondern müsste auch in Bereichen wie dem Sozialverhalten bewertet werden.
Tragende Beziehungen fördern
Soll auch kirchliche Jugendarbeit Leistung einfordern? Wie soll Jugendarbeit in der Kirche aussehen, damit Jugendliche die im Alltag unter Druck sind unterstützt werden? Darüber diskutierten die Teilnehmenden anschliessend in Gruppen. Wesentlich ist eine gute Anerkennungskultur auch bei kleinen Beiträgen, die Selbstentfaltung von Jugendlichen zu fördern, ihnen Verantwortung zu übertragen, damit sie lernen können. Vor allem müssen Jugendseelsorgende verlässliche Gegenüber sein. In der offenen Jugendarbeit ist ein Schonraum mit klaren Regeln, aber ohne grossen Leistungsdruck ein Ziel. In den Jugendverbänden lernen die Älteren, Verantwortung für die Jüngeren zu übernehmen. Die Firmgruppen 18+ bestehen aus jungen Menschen, die mitten in der Ausbildung sind. Hier gilt es, nicht Leistung zu fordern, sondern verbindliche, tragende Beziehungen zu bieten und Fragen des Lebens anzusprechen, die im Alltag oft untergehen. (inf./Sabine Rüthemann)