Diese und andere Fragen beantworteten drei Referierende an der ökumenischen kantonalen Tagung mit dem Titel: «Pädagogische Spielräume und rechtliche Grenzen bei der praktischen Umsetzung von ERG-Kirchen und Religionsunterricht».
Professor René Pahud de Mortanges, Universität Fribourg, referierte zu Beginn über den vom Bundesrecht vorgegebenen rechtlichen Rahmen. Grundsätzlich regeln die Kantone ihr Verhältnis zu den Religionen selber. Im Kanton St. Gallen erteilen die Landeskirchen den freiwillig zu besuchenden Religionsunterricht. Die Teilnahme am Fach ERG (Ethik, Religionen, Gemeinschaft) ist dagegen Teil des verfassungsmässigen Grundschulunterrichts und daher Pflicht. Gewählt werden kann zwischen ERG-Schule, verantwortet von den Schulen, und ERG-Kirchen, verantwortet von den Landeskirchen. Die Verunsicherung darüber, was ERG-Kirchen darf und was nicht, wurde durch die Referate deutlich vermindert. Der Fribourger Professor betonte, dass Schülerinnen und Schüler (bzw. die Eltern), die ERG-Kirchen gewählt haben, in Kauf nehmen oder sogar ausdrücklich wünschen, dass hier im Rahmen des Lehrplans Volksschule Akzente anders gesetzt werden als in ERG-Schule. «Das Fach ist ein Mischwesen St. Galler Prägung», ergänzte der Religionsrechtler. «Einerseits gibt es staatliche Vorgaben für die Umsetzung des Lehrplans, andererseits ist es politisch gewollt, dass dieser Unterricht eine kirchliche Note hat». Die Lehrpersonen bekennen sich zu ihrem christlich-landeskirchlichen Hintergrund, aus diesem Blickwinkel unterrichten sie ERG.
Nicht ganz neu
«Der Lehrplan 21 wurde im Kanton St.Gallen inhaltlich unverändert übernommen, es gab aber Anpassungen bei der Zuweisung von Kompetenzen in einzelnen Fächern», erklärte Franziska Gschwend, Juristin, Leiterin Dienst für Recht und Personal im Bildungsdepartement des Kantons St.Gallen, zur Entstehungsgeschichte von ERG-Kirchen. Sie bezeichnete das Fach als «gar nicht so revolutionär neu», wie es regelmässig dargestellt werde. Denn auf der Oberstufe wurden Schülerinnen und Schüler, die den kirchlichen Religionsunterricht nicht besuchten, schon bisher durch die Schule im Fach «Ethik und Kulturen» unterrichtet. Im St. Galler Modell hatten die Kirchen die Pflicht, einen Lehrplan ERG-Kirchen zu erarbeiten und die im Lehrplan definierten Kompetenzen aufzunehmen. Franziska Gschwend nannte praktische Beispiele für die Umsetzung verbindlicher Teile des Lehrplans in ERG Kirchen: Zum Thema «menschliche Grunderfahrungen» dürfen in ERG-Kirchen durchaus verstärkt (aber nicht nur) christliche Texte benützt werden. Oder bei «religiöse Texte und Lehren» kann ein Akzent auf christliche-kirchliche Lehren gelegt und diese mit anderen religiösen Themen verglichen werden.
Gemeinsame Ethik erklären
Wenn Schülerinnen und Schüler nichtchristlicher Herkunft ERG-Kirchen besuchen, ist darauf zu achten, dass auch ihre Traditionen thematisiert werden und dabei sichtbar wird, dass die verschiedenen Religionen meist eine gemeinsame Ethik haben. Die Juristin zeigte sich überzeugt: Wenn Eltern ERG-Kirchen für ihre Kinder wollen, dann wählen sie einen etwas anderen Ansatz. «Ich kann mir in diesem Fach auch eine Ordensfrau mit Schleier vorstellen, denn die konfessionelle Herkunft der Lehrperson darf sichtbar sein – anders als in ERG Schule, wo z.B. Unterricht durch eine Frau mit Schleier nicht zulässig wäre», ergänzt die Juristin. Wenn alle Schülerinnen und Schüler in ERG-Kirchen einen christlichen Hintergrund haben und es auch wünschen, dann ist laut Franziska Gschwend ein Gebet zum Unterrichtsbeginn möglich. Ist die Gruppe heterogen, dann darf sich niemand ausgeschlossen fühlen.
Nie ganz neutral
Die dritte Referentin, Professorin Dr. Eva Ebel, Pädagogische Hochschule Zürich, sprach über pädagogische Spielräume bei der praktischen Umsetzung von ERG-Kirchen. Sie betonte, dass die eigene wie die anderen Religionen unparteiisch zu beurteilen seien. Gleichzeitig forderte sie die Lehrpersonen auf, authentisch auf Nachfragen zu reagieren, aber die eigene Position nicht absolut zu setzen, sondern anderen Weltanschauungen mit Respekt zu begegnen. «(Religions-)Unterricht ist allerdings nie ganz neutral, Schülerinnen und Schüler werden von einer Lehrperson immer beeinflusst», ergänzte die Pädagogin. «Und nur Reden über eine Religion ist wie Stricken ohne Wolle», veranschaulichte sie. Das bringe gar nichts, Religion müsse man auch erleben. Deutlich wurde an diesem Tag also auch: Die Diskussionen über die Neutralität von Religionslehrpersonen greifen zu kurz. Denn grundsätzlich hat jede Lehrperson, ob ERG-Schule oder ERG-Kirche, sich Rechenschaft abzugeben über die eigene Herkunft und muss sie auch nennen, aber nicht vereinnahmend, nicht missionarisch. (BistumSG/Sabine Rüthemann)
Im Bild: Franziska Gschwend und René Pahud de Mortange.
Bild: Sabine Rüthemann
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