Schwestern und Brüder in Christus!
Liebe österliche Festgemeinde!
Von dem jüdischen Gelehrten Pinchas Lapide stammt der Ausspruch: «Es gibt im Grunde nur zwei Wege mit der Bibel umzugehen: Entweder nimmt man die Bibel wörtlich – oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen geht nicht».
(Zitat Viktor E. Frankl, Pinchas Lapide, Gottsuche und Sinnfrage. Ein Gespräch, Gütersloh 72020, S. 67)
Auferstehung ist eine schwierige Botschaft, wenn ich die Berichte wörtlich nehme: dann wird alles zum Problem, nicht erst für moderne Menschen: Wie war das mit der Auferstehung? – dem Stein? – dem leeren Grab? – dem Engel im Grab?
Mir gefällt das eben gehörte Evangelium nach Markus so gut, weil es noch so ursprünglich und menschennah ist: Sie fliehen vom Grab – Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt «und sie (die anderen) glaubten ihnen nicht». Das ist realistisch, nahe an der Wirklichkeit, die ich mir vorstellen kann.
Aber was heisst dann «Auferstehung ernst nehmen»?
Auf das schauen, was entstanden ist. Die Zeugnisse der Magdalena und der Jünger kann ich ernst nehmen, weil ich den Aufbruch sehe, der dann gekommen ist – und so ein Aufbruch ist auch heute möglich, in meinem Leben, in unserem Leben – und er ist Lebens-not-wendig.
Gott hat auf den Tod Jesu eine Antwort gegeben – gegen den Strich der Welt. Er setzt heute auf uns, um seine Antwort heute bekannt zu machen.
Ein Mann steht vor einem Schaufenster, betrachtet ein wunderschön geschnitztes Kreuz. Ein kleiner Junge kommt dazu, schaut es ebenfalls an. Der Mann fragt: «Na, Kleiner, weisst du überhaupt, wer das hier ist?» «Klar weiss ich das! Das ist unser Heiland Jesus. Sie haben ihn getötet. Er ist am Kreuz gestorben.» Der Mann lobt den Jungen und geht weiter.
Plötzlich hört er hinter sich Schritte; der Junge ist ihm nachgelaufen und ruft ihm zu: «Ich habe noch was vergessen zu sagen. Da war noch was... später ist er von den Toten auferstanden!»
(Quelle unbekannt)
Wo Menschen sterben, wo menschliche Beziehungen und Liebe sterben, wo Erkenntnisse und Sprache sterben, sollen wir den Menschen nachlaufen und ihnen sagen: Da war noch was – er ist auferstanden, du darfst leben!
Damit ich jedoch ein solcher Mensch sein kann, muss ich selbst die Botschaft der Auferstehung ernst nehmen. Und dazu gehört die Einsicht: Von Anfang an geht es nicht um Beweise für die Auferstehung, sondern um die Botschaft vom Auferstandenen. Jesus ist Gegenstand und Grund des Osterglaubens, nicht das leere Grab.
Die Engel verweisen nicht auf das leere Grab, sondern auf den Auferstandenen. Magdalena glaubt nicht auf Grund des leeren Grabes, sondern wegen ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen. Kurz: Wir glauben nicht an das leere Grab, sondern an Gott, der durch den Tod hindurch am Leben festhält – und deshalb sollen wir Jesus bei den Lebenden suchen – auch heute.
Auferstehung ernst nehmen / Ostern feiern ist allerdings anspruchsvoll. So vieles hat sich rundherum entwickelt: unzählige Bräuche, wunderbare Meisterstücke der Kunst und der Musik, jedes Jahr die Frühlingsgefühle …
Aber all das darf nicht darüber hinwegtäuschen: An Ostern geht es um diese, unsere unfertige Welt. Ostern betrifft mich persönlich, mein eigenes Leben mit all seinen Brüchen, schon jetzt und heute, nicht erst, wenn wir tot sind.
Auferstehung ernst nehmen heisst: Jesus in mein Leben hineinlassen. Er möchte, dass ich/wir den Menschen nachlaufen und ihnen zeigen: Gott kann auch dich dem Tod entreissen. Dein Weg ist keine Sackgasse, sondern ein Weg zum Leben.
Manchmal feiern wir mitten am Tag ein Fest der Auferstehung:
Wenn Eltern ihr Kind, das sie vor die Tür gesetzt haben, wieder aufnehmen...
Wenn ich niedergeschlagen zu einem anderen komme, der mir zuhört, mich versteht ...
Wenn Menschen, z.B. von Missbrauch Betroffene tiefste Täler durchschreiten müssen und trotzdem Hoffnung ausstrahlen ...
Wenn Menschen für Frieden und Gerechtigkeit ihr Leben riskieren ...
Wenn Menschen sich für Flüchtlinge und Ausgegrenzte einsetzen und dabei ihren guten Ruf aufs Spiel setzen...
dann weiss ich – auch ohne 'Beweise': Der Auferstandene lebt und wirkt heute unter uns – durch solche Menschen.
Denn den Osterglauben leben heißt, Hand anlegen; heißt, Lieder der Hoffnung singen und damit nicht aufhören; heißt, Taten der Hoffnung tun und sich nicht aufhalten lassen.
So wünsche ich Ihnen, dass die Begegnung mit dem Auferstandenen Ihnen Kraft gebe, den Menschen nachzulaufen und ihnen zu sagen: da war noch was! Sich einzusetzen – wo auch immer und wie auch immer – für das Leben der Menschen.
Und wenn Sie nicht können, wünsche ich Ihnen, dass Sie auf österliche Menschen treffen, die mit Ihnen gehen und Ihnen sagen: Der Auferstandene lebt – wir haben einen Grund zum Feiern!
Feiern wir das Fest der Auferstehung!
Amen
Predigt im Livestream (bei Minute 33:30)